Tag heraufdämmern. Leise stand ich auf und setzte mich an den Schreibtisch, um noch einmal in Ruhe den geliebten Blick aus dem Fenster in mich aufzunehmen. Viele Bilder zogen an mir vorüber: Das Schwirren der Turmschwalben an Sommerabenden um die beiden Kirchtürme, die Pro­zession der langsam wandelnden Nonnen in ihren schwar­zen Kleidern und den großen, weißen Flügelhauben auf den geraden Wegen des grünen Klostergartens. Immer wird die Vorstellung vom Abendfrieden für mich mit die­sem Bilde unlöslich verbunden sein! Kurz vor unserem Gottesdienst hatte ich von den Klosterschwestern Abschied genommen, von der klugen, ruhigen Oberin, der von mir besonders geliebten und verehrten Oberschwester an der Pforte, die ich am besten kannte, weil sie meist daneben das Telephon bediente, das wir gemeinsam benutzten, von der freundlichen Küchenschwester, die uns so manches Mal mit irgendwelchen Vorräten ausgeholfen hatte, wenn wir in Verlegenheit waren, und-um noch eine zu nennen - von der Gartenschwester mit dem braunen, offenen Ge­sicht, dessen viele kleine Fältchen um die guten Augen zeigten, wie bereit sie zu fröhlichem Lachen war, und mit der mich noch besonders die Liebe zu Zimmerpflanzen und Blumen verband, die sie mir reichlich zum Schmuck meines Stübchens gestiftet hatte.

Wenn ich jetzt in dieser Stunde das Fazit der hier ver­brachten Zeit zog, so erschien sie mir reich und erfüllt von viel Arbeit, viel Leid und vielen kleinen und großen Freu­den. Abschließend durfte ich mir ruhig sagen: Wir alle, die wir dies Heim aufgebaut und es geleitet hatten, wir hatten unsere Pflicht getan. Guten Gewissens konnten wir es verlassen. Wieder einmal erkannte ich klar, wieviel leichter es ist, unter denen zu sein, die Unrecht erleiden, als unter denen, die Unrecht tun. Erhobenen Hauptes konnten wir einem schweren, unbekannten Schicksal ent­gegengehen, ungebeugt in unserer Selbstachtung und un­serer Menschenwürde. Darin lag keine pharisäische Ueber­

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