zu stammeln, die meisten aber konnten vor Ergriffenheit und aufsteigenden Tränen nicht sprechen. Ich hatte Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken, als ich all die wohlbe­kannten und durch die Bewegung so veränderten Gesichter sah. Mir tat die Hand weh nach den vielen kräftigen Hän­dedrücken. Oben in meinem Zimmer tröstete Frau Alt­schüler Frau Dillenius, die zurückblieb, das heißt, nicht de­portiert wurde. Aber wir hatten noch etwas zu tun. Ich besaß eine ziemliche Menge Veronal, nach Aussage des Arztes genügend, um drei Personen ruhig zum Tode ein­schlafen zu lassen. Ein Drittel nähte ich in die untere Naht meines graumelierten Mantels, zwei Drittel bekam Frau Altschüler, um es in zwei ihrer Kleidungsstücke einzu­nähen. Ihr Mann wußte nichts davon, aber ich begriff, daß es eine große Beruhigung für sie bedeuten mußte, wenn sie im Augenblick, wo die Sachlage für sie beide un­erträglich würde, diese Möglichkeit hatten. Allein das Be­wußtsein, selbst über sein Schicksal entscheiden zu können, gab Trost und Kraft. Dann übergab ich Frau Dillenius mein Tagebuch, mit der Bitte, es nach meiner Abreise Tilla ins Isartal zu schicken, damit sie es dort aufbewahre. Auch in dieser Nacht, in der wir alle nicht viel geschlafen haben, gingen meine Gedanken immer wieder zu Dir und den Kindern. Mit jedem weiteren Jahr der Trennung hat­ten sich die Räume, die sich zwischen uns schoben, weiter und weiter ausgedehnt, jetzt schienen sie ins Unendliche wachsen zu wollen. Noch nie zuvor hatten mich Trennungs­schmerz und Sehnsucht so stark überfallen wie in dieser Nacht; lange, lange mußte ich mit mir ringen, um ihrer einigermaßen Herr zu werden. Erst gegen Morgen sank ich in einen kurzen, unruhigen Schlaf. Ich erwachte aus ihm, als das tränenüberströmte Gesicht von Frau Dillenius sich über mein Gesicht beugte, ehe sie zu ihrer Arbeit in der Fabrik aufbrach. Wortlos umarmte ich sie und wandte mich dann schnell ab, weil ich die Qual des Abschieds nicht unnötig verlängern wollte. Langsam sah ich den

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