Beunruhigter als wir Fortgehenden zeigten sich dieses Mal die Zurückbleibenden. Gerüchte schwirrten umher, das Heim sollte künftig von SS. - Männern geleitet werden. Uns war nichts davon bekannt geworden, aber wenn es wahr sein sollte, dann war es wirklich besser, fortzugehen. Gewiß konnte uns das in Polen auch blühen, aber dann lieber dort als hier im liebgewordenen Heim, wo wir bis­her ein möglichst mildes und freundliches Regiment ge­führt hatten.

Frau Nehm, Gertrud Linds Nachfolgerin, die mit dem jungen Koch zusammen die Küche besorgte, übergab ich die Schlüssel zum Vorratsraum und allen Schränken mit dem sehr genau geführten Küchenbuch, aus dem sie die Mengen aller nötigen Lebensmittel ersehen konnte. Heil­bronner führte seinen Adlatus Löwenberger, einen siebzig­jährigen schwerkranken Mann, der ihm bisher bei seinen Arbeiten im Büro geholfen hatte, gleichfalls in alles Nötige ein. Herr Löwenberger war Großkaufmann in der Lebens­mittelbranche gewesen und hatte sich nicht nur als sehr tüchtige Hilfskraft, sondern auch als ausgezeichneter Or­ganisator erwiesen. So hatte er z. B., um die Verteilung der Lebensmittelkarten zu erleichtern, eine äußerst brauchbare und arbeitsparende Kartothek angelegt. Nun schärfte Heil­bronner ihm noch ein, daß das Allerwichtigste sei, jeden Freitag pünktlich das Mietgeld zugleich mit einer genauen Insassenliste an den Stellvertreter des Gauleiters in die Wi­denmayerstraße per Boten zu senden.

Der Abtransport ins Sammellager nach Milbertshofen war auf Mittwoch, den 1. April, festgesetzt. Am Dienstag­abend fand im großen Eßraum ein kurzer, gemeinsamer Gottesdienst statt, den wohl keiner der Beteiligten je ver­gessen wird. Es wurden nur einige Gebete gesprochen und der 94. Psalm gelesen. Zum Schluß defilierten alle Heim­insassen am Hauptlehrer, Heilbronner und mir vorbei und drückten uns die Hand zum Abschied. Gar mancher ver­suchte, ein paar Worte das Dankes und der Verbundenheit

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