ganzen Reich deportiert werden. Ist's da nicht fast besser, ein langes, quälendes Warten auf das, was doch einmal kommt, bliebe uns erspart?" Und tatsächlich, diesmal gab es kein Schreien und lautes Jammern. Blaẞ, still und gefaßt nahmen die Frauen den schicksalsschweren Brief entgegen. Was mich erschreckte und bedrückte, war, daß auch das Ehepaar Altschüler mit auf der Deportationsliste stand. Wie sollte der durch seine schwere Kriegsbeschädigung behinderte Mann allein die Strapazen des Sammellagers und der Reise ertragen, gar nicht zu reden von dem, was danach kam! Und noch etwas machte für sie die Sache be­sonders schlimm. Sie waren kinderlos, sie hatten als ganz kleines Kind einen Jungen an Kindesstatt genommen und ihn später adoptiert. Beide hingen unendlich an ihm und er an ihnen. Da es ein ,, arisches" Kind war, hatte man ihnen schon große Schwierigkeiten gemacht. Sie hatten ihn des­halb in eins der großen Landerziehungsheime bei Mün­ chen gebracht, von wo aus er sie wenigstens hin und wieder sehen konnte. Die Trennung von diesem geliebten Sohn, der etwa fünfzehnjährig war, traf sie schwerer als alles andere. Trotzdem zeigten sie sich beherrscht und ruhig.-

Dieses Mal mußte nicht nachts gearbeitet werden, um alles vorzubereiten. Vorsorglich hatte ich einen ganzen Haufen Säckchen nähen lassen und auch sonst immer wie­der aufgefordert, alles Notwendige für das Gepäck, das diesmal im ganzen nur dreißig Kilogramm betragen durfte, bereit zu halten. Schlafsäcke waren hergestellt worden, und ebenso hatten wir für diejenigen, die keine Decken, sondern nur ein Oberbett besaßen, aus diesem eine Art Daunen­decke gemacht, indem wir Federn herausnahmen, die übri­gen gut verteilten und die so entstandene Decke gut durch­steppten. Aus Gurten hatten wir für alle, die keine Leder­riemen ihr eigen nannten, eine Art Träger für die Decken­rollen angefertigt. Bei alledem hatten uns die Quäker unter Annemaries Anleitung, aber auch manche anderen bekann­ten Frauen geholfen, die aus der Stadt zu uns kamen.-

155