zu einem mehr oder weniger derben Scherz bereit. Jetzt stand er ungewohnt ernst vor mir. ,, Ich komme eben von der Gemeinde", sagte er, ,, ich habe dort im Haus einen alten Bekannten besucht. Als ich gerade gehen wollte, kam Herr Direktor Stahl und bat mich, Ihnen zu sagen, daß sie die Deportationsliste erhalten haben. Sie werden sie morgen gegen Mittag offiziell gebracht kriegen. Frau Doktor", und hier stockte seine Stimme ,,, Sie und die ganze Heimleitung stehen mit auf der Liste. Im ganzen kommen fünfundsiebzig Heiminsassen mit fort. Nicht wahr, Sie sagen es Herrn Hauptlehrer und Herrn Heilbronner. Mir ist es schon schwer genug, daß ich es Ihnen sagen mußte, aber Herr Direktor meinte, es wäre Ihnen sicher lieb, es schon jetzt zu wissen und sich darauf vorzubereiten." Sein großes ehrliches Gesicht sah so bekümmert aus, wie ich es nie vorher gesehen hatte. Ich dankte ihm, daß er noch einmal herausgekommen war, um mir diese Mitteilung zu machen. Allerdings durfte er, als in einer sogenannten privilegierten Mischehe lebend und nicht verpflichtet, den Judenstern zu tragen, auch Straßenbahn fahren und bei seiner Familie wohnen. Er hat im allgemeinen Samstagnachmittag und Sonntag frei, versprach mir aber, morgen auf alle Fälle zu kommen. Es würde wieder viel Extraarbeit geben, wenn die Listen verteilt seien. Dann eilte ich ins Büro hinunter, wo Heilbronner noch arbeitete, und sagte es ihm. ,, Es ist merkwürdig", sage er langsam nach einer kurzen Pause ,,, mir ist es fast wie eine Erleichterung, daß ich diesmal dabei bin und es nicht nur den anderen mitteilen, sie beruhigen, ihnen zureden muß." ,, Mir geht es ganz genau so", erwiderte ich ihm ,,, und ich bin zufrieden, mit Ihnen zusammen zu gehen." Er kam schnell auf mich zu und gab mir die Hand, die ich fest drückte. ,, Ich brauche nicht zu betonen, daß es mir lieb ist, daß wir beide zusammen bleiben. Aber nun müssen wir den Hauptlehrer rufen, er hat ein Recht darauf, es sofort zu erfahren. Warten Sie einen Augenblick, ich hole ihn herüber." Gleich
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