Berg a. Laim, Sonntag, den 4. Januar 1942

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Mir geht es gesundheitlich nicht gut; schon seit November vorigen Jahres plagen mich immer häufiger auftretende Schwindelanfälle und eine tödliche Mattigkeit, die mich manche Tage unfähig macht, das Bett zu verlassen. Ich habe auch in den letzten Monaten ständig sehr an Gewicht verloren. Unter den neuen Insassen, die nach der No­vemberdeportation kamen, war die Witwe eines Arztes, die selbst früher Krankenschwester gewesen ist. Schwester Irma tat auch bei uns Dienst als Krankenschwester und hat mich rührend gepflegt. Sie ist nicht mehr jung, Anfang der Sechziger, aber in ihrem Beruf sehr tüchtig und unermüd­lich. Wir verstanden uns ausgezeichnet vom ersten Augen­blick an. Sie hat mir, als es mir am schlechtesten ging, viel von meiner Arbeit abgenommen. Vorgestern mußte sie uns wieder verlassen, der Hauptsturmführer Wegner hat sie in das Barackenlager nach Milbertshofen strafversetzt. Sie wurde am Vormittag des 24. Dezembers zu ihm bestellt. Da es mir gerade in den Feiertagen nicht gut ging, habe ich erst vor kurzem von ihr erfahren, was geschehen war. Sie ist, kurz ehe sie hier ins Heim eingewiesen wurde, an einem Tag, als sie in das Gemeindebüro bestellt war, zu ihrer Wohnung im äußersten Schwabing , zu der sie hätte laufen müssen und etwa anderthalb bis zwei Stunden ge­braucht hätte, trotz des Verbots mit der Straßenbahn ge­fahren. Sie hatte den Judenstern verdeckt und stand auf der hinteren Plattform.. Es wurde sehr voll, und im Ge­dränge sah ein SA.- Mann, der neben ihr stand, das Gelb des Sterns herausleuchten. Er veranlaßte den Straßenbahn­schaffner, ihre Personalien festzustellen und sie bei der Partei zu melden. Die ersten Tage nach diesem Vorfall, der sich Anfang November abgespielt hatte, erwartete sie voller Angst eine Vorladung in die Widenmayerstraße. Aber es erfolgte nichts, sie wurde zu uns eingewiesen, be­gann ihre Arbeit und hatte die ganze Angelegenheit fast

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