schlichten und selbstverständlichen Hingabe sie ihre Arbeit machten, ich fühlte ihre Sympathie für uns, ihr Mitfühlen bei allem, was wir erduldeten, und ihre Hilfsbereitschaft. Ihre Güte und Freundlichkeit uns gegenüber nötigten mir zunächst Erstaunen und fast widerwillige Achtung, allmäh­lich wachsende Zuneigung und die Erkenntnis ab, daß ich als orthodoxer Jude in engen, ja falschen Vorstellungen und Vorurteilen befangen war. Jetzt gehe ich öfters in ihre Kirche in dem Bewußtsein, daß ihr Gott auch unser Gott ist, und es erscheint mir unwesentlich, wo wir zu ihm beten. Noch niemals zuvor habe ich so stark den Wunsch ver­spürt, mich vor Menschen in Ehrfurcht zu neigen, wie vor unseren Klosterschwestern." Ich freute mich über dieses Geständnis, ich wußte, daß es vielen von unseren Heim­insassen ebenso gegangen war wie ihm. Für mich traf das nicht zu, Du weißt, daß wir schon viel früher die Hilfe und Freundschaft frommer katholischer Menschen erfahren haben. Aber mir wurde jetzt wieder einmal ganz deutlich, wie wichtig und notwendig es ist, wenn die Menschen verschiedener religiöser Bekenntnisse unter dem Zwang schwerer Schicksalsschläge die durch Dogmen aufgerich­teten Schranken fallen sehen und ihre brüderliche und schwesterliche Nähe erfahren. ,, Alle menschlichen Gebre­chen heilet reine Menschlichkeit", dies schöne und wahre Goethewort schien mir als Motto über diesen schweren, unvergeßlichen Tagen und Nächten zu leuchten.-

Auch der Abschied erhellte dies Zusammengehörigkeits­gefühl, ja er strahlte helfend noch den Deportierten über die Tage im Sammellager, wie uns viele briefliche Mit­teilungen bewiesen, die von dort zu uns kamen. Um so schwerer empfanden wir Zurückgebliebenen die Lücke, die nach ihrem Fortgehen geblieben war und sich auch durch das rasche Hineinströmen neuer Insassen nicht schließen wollte.

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