vergessen, als sie für den Vormittag des 24. Dezember zum Hauptsturmführer Wegner bestellt wurde. Sie ging pünktlich hin und fand ihn schäumend vor Wut über die von ihr verübte entsetzliche Untat. Sie blieb völlig ruhig bei den gemeinen Schimpfworten, die er ihr zuschrie, und diese Ruhe muß ihn wohl noch mehr gereizt haben. Plötz­lich war er dicht vor ihr, und schon fühlte sie einen star­ken Schlag ins Gesicht. Dabei brüllte er: ,, Ich werde euch schon noch lehren, die Verbote einzuhalten. Am 2. Januar haben Sie im Barackenlager in Milbertshofen zu sein, die Heimanlage ist viel zu gut für solche Geschöpfe: Raus!" Sie war wie betäubt und taumelte aus dem Zimmer. Müh­sam stieg sie die Treppe hinunter und fand sich unten an der rauschenden Isar stehen mit dem heftigen Wunsch, hineinzuspringen und Vergessen und Ruhe zu finden. Aber sie riẞ sich zusammen, ging langsam nach Berg a. L. zurück und war dann wieder so sehr Herr über sich selbst, daß sie ruhig zu mir ins Zimmer kommen und auf mein Fragen erklären konnte, daß es sich bei ihrem Besuch um eine Vermögensangelegenheit gehandelt habe. Am Freitag ist sie gefaßt und still nach Milbertshofen gegangen, um dort als Krankenschwester zu arbeiten. Ihr und uns, besonders mir, ist der Abschied sehr schwer geworden.

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Auch der Professor ist krank, so schwer, daß er kurz vor Weihnachten in unser Krankenheim transportiert wer­den mußte. Es geht ihm jetzt ein bißchen besser, aber es wird noch lange dauern, bis er zu uns zurückkommen kann. Er fehlt uns allen sehr im Haus, ich merke erst jetzt, wie sein stilles Lächeln, mit dem er mich beim Vorübergehen begrüßte, mir wohltat, und ich weiß, daß es sehr vielen Heiminsassen ähnlich geht.

Für die kommende Woche sind wieder neue Insassen an­gekündigt, die letzten freien Betten werden belegt, und da­mit auch die in meinem Zimmer. Ich muß gestehen, es wird mir schwer, auf das Alleinseinkönnen in den kurzen Nachtstunden verzichten zu müssen. Die Auswahl meiner

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