Isartal, Sonntag, den 6. Juli 1941

Zwar bin ich so totmüde und zerschlagen von den ersten Arbeitstagen in der Fabrik, daß ich am liebsten alle Viere von mir strecken und in den Himmel und alles Grün und Blühen unseres Gartens im Isartal schauen möchte, aber wer weiß, wann ich wieder Zeit zum Schreiben finde, und ich will dich doch auf dem Laufenden halten.

Meine Arbeit im Büro habe ich liquidiert, die Heime müssen nun ohne mich fertig werden. Das Versenden der Päckchen nach Polen übernimmt zu einem Teil Emmy K. weiter, das übrige machen Annemarie, meine Quäkerfreun­din, und ihre Hilfstruppen. Ich selbst will nur versuchen, wenigstens die Korrespondenz mit den Menschen der drei Orte im Kreise Lublin , die mir wie alte Freunde lieb und vertraut geworden sind, so weit es irgend möglich ist, auf­rechtzuerhalten.

Am Dienstag erhielt ich im Büro einen Anruf vom Haupt- Telegraphenamt. ,, Spreche ich mit Frau Dr. Beh­rend?", fragte der Beamte. Ich bejahte. ,, Haben Sie in der letzten Zeit nach Argentinien gekabelt?" Wieder bestätigte ich das. ,, Haben Sie eine Verwandte drüben, die Gustel heißt?" ,, Jawohl, meine Tochter." ,, In welchem Ort lebt sie?" ,, In S. s, in der Provinz Cordoba ." ,, Und nun", fügte der Beamte hinzu ,,, will ich Ihnen erklären, was diese Fragen bedeuten. Vor mir liegt ein Telegramm aus S.... s mit der Unterschrift Gustel. Aber die Adresse ist verstümmelt, sie lautet einfach: Mutter Mün­ chen . Und nun freue ich mich, daß wir die Mutter in Mün­ chen gefunden haben. Ich schicke Ihnen das Telegramm sofort zu." Ich bedankte mich bei ihm. Das Telegramm teilte mir mit, daß weitere Schritte unternommen würden, um mein Hinüberkommen doch noch zu ermöglichen.

In meiner neuen Wohnung habe ich es sehr gut, Frau Tuchmann ist rührend in ihrer Fürsorge für mich. Sie ist eine ausgezeichnete Heimmutter, liebt ihre alten Leute sehr

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