Isartal, Sonntag, den 26. Januar 1941

Vor einer Woche haben wir uns im Betsaal zu einer schlichten Abschiedsfeier für Herrn und Frau Rat versam­melt, die zu ihrem Sohn in die jüdische Siedlung Avigdor in Argentinien fahren. Ich freue mich unendlich für sie beide, aber wir alle kommen uns ohne diese gütigen und weisen Menschen sehr vereinsamt vor. Beiden wurde es schwer, uns zurückzulassen; Herr Rat sagte in seiner Ab­schiedsrede: ,, Wenn wir beiden alten Leute dann unter uns jetzt noch unbekannten Bäumen sitzen und über die von unserem Sohn bebauten Felder in der neuen Heimat schauen werden, wird alles Schwere und alles Schöne dieser letzten Jahre hier in unserem Geiste lebendig werden, und wir werden vor allem der Menschen gedenken, die uns durch die gemeinsame, oft recht harte und schwierige Arbeit un­auflöslich verbunden sind." Wie gern hätten sie mich mitgenommen, wissen sie doch, daß ich auf eine Vereini­gung mit Gustel, unserer Aeltesten, und all den Verwandten in Argentinien hoffe, da ich wegen des Krieges nicht zu Euch fahren kann!

-

Unser neuer Vorsitzender ist Herr Direktor Stahl, der schon seit einiger Zeit die Leitung der ganzen Wohlfahrts­abteilung übernommen hat. Man kann gut mit ihm arbeiten. Sorge macht uns nur, ob er imstande sein wird, in dieser stürmischen Zeit unser kleines Schiff einigermaßen sicher durch die Wogen zu einem unsichtbaren, unbekannten Hafen zu steuern!

Isartal, Sonntag, den 16. März 1941

Das Hinausdrängen der Münchner Juden aus ihren Woh­nungen geht in immer rascherem Tempo vor sich, ihre Unterbringung wird immer schwieriger. Aber was uns noch

108