einer ,, Arierin", die, ähnlich wie Annemarie uns, den dorti­gen Juden hilft, wo sie kann, und mit vielen persönlich be­freundet ist. Sie hat beim Packen und beim Transport mit vielen anderen geholfen, ist auch mit auf den Bahnhof ge­gangen und schildert, daß sie beim Anblick all des Elends und der Not Mühe gehabt hätte, nicht mit in den Zug zu springen, um dadurch zu dokumentieren, wie schwesterlich nah sie sich diesen Unglücklichen fühlte! Nur der Gedanke an Mann und Kind habe sie zurückgehalten. Diesmal hat man übrigens die Leute, die in Mischehen leben, verschont. Aber der Vorsitzende der Mannheimer jüdischen Gemeinde, ein Arzt, der gleichfalls eine ,, arische" Frau hat, und der es nicht übers Herz brachte, zurückzubleiben, ist freiwillig, unter Zurücklassung seiner Frau, die sehr zart ist und den Strapazen, die den Deportierten gewiß sind, nicht gewach­sen gewesen wäre, mit seiner Gemeinde in die Verbannung gegangen. Ich kann mir so gut vorstellen, welche tröstende und beruhigende Wirkung diese Tat, die man mit gutem Recht heldenhaft nennen kann, auf seine Gemeindemitglie­der gehabt haben muß!

-

Nun warten wir bangen Herzens auf weitere Nachrichten. Ach, wieviele gute Bekannte aus den Kreisen meiner Rück­wanderer weiß ich darunter! Haben wir doch noch gerade in den letzten Wochen mit unendlicher Mühe durchgesetzt, daß eine Reihe badischer Juden aus kleineren Orten, so z. B. aus Breisach , die die nationalsozialistischen Ortsbehör­den nicht nach Hause lassen wollten, zurückkehren konnten. Wie glücklich waren sie, als sie Abschied nahmen, um in die Heimat zu fahren! Wie dankbar schrieben sie nach ihrer Ankunft, und wie kurze Zeit konnten sie die Freude genießen, zu Hause zu sein! Diejenigen, die es mit der Rückkehr nicht eilig hatten, sind nun besser dran. Wir wer­den versuchen, ihnen bei der Gestapo hier den Dauer­aufenthalt in München zu erwirken.

Vorgestern spielte sich bei mir im Büro eine herzzer­reißende Szene ab. Eine Frau aus einem kleineren Orte

105