blühte gleichzeitig: Flieder, Kastanien, Obstbäume, Magnolien. Immer wieder kam mir Gottfried Kellers schöner Vers in den Sinn: ,, Trink, o Auge, was die Wimper hält, von dem gold'nen Ueberfluß der Welt!"
Daß ich über der Schönheit dieses Schauens Leid und Schmerzen, Krieg und Not nicht vergessen habe, wirst Du mir sicher glauben! Aber ich habe mir neue Kräfte und neuen Mut, weiter zu arbeiten und getrost auf unsere Wiedervereinigung zu warten, aus diesen Tagen geholt.
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Inzwischen hat die gute Emmy K., mit Unterstützung von freiwilligen Hilfskräften, fleißig weiter Päckchen geschickt, so daß diese Arbeit durch meine Reise keine Unterbrechung erfahren hat. Die letzten Briefe enthielten die Bitte um Säuglingswäsche und Windeln, weil sie in nächster Zeit in Piaski die Geburt zweier Kinder erwarten. Wie werden in diesen schweren Verhältnissen Mütter und Kinder gepflegt und aufgezogen werden können! Wir haben zwei sehr nette Säuglingsausstattungen zusammengebracht, auch extra Stärkungsmittel, Kindermehl und Puder. Leid tat uns nur, daß wir uns versagen mußten, alles nett zu bündeln und hübsch zu verpacken. Unter den letzten Briefen war einer von einer siebzigjährigen alten Dame, die, in begüterten Verhältnissen in Stettin , sehr viel ehrenamtliche Fürsorgearbeit geleistet hat. Sie wurde mit Tochter und Schwiegersohn deportiert. Ihrem Schreiben merkt man an, wieviel Anstrengungen es sie kostet, nicht zu verzweifeln, und wie sie sich auf die Arbeit für andere stürzt, um an ihr eigenes Elend so wenig wie möglich zu denken. Sie wird zu denjenigen gehören, mit denen ich in regelmäßigen Briefverkehr treten werde. Auch die Leute, die in Mischehe lebten, waren vor der Deportation nicht sicher. Wir bekamen einen Brief von der ,, arischen" Frau eines Stettiner jüdischen Zahnarztes, die die Bemühungen schilderte, eine Gemeinschaftsküche zu errichten und Räume zu finden, die man einigermaßen angemessen als Krankenstation herrichten kann. Daneben bekomme ich jetzt täglich
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