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mal das, was ich schon aus meiner Arbeit im Gefängnis gelernt hatte: Der Mensch im allgemeinen ist nur fähig, das wirklich mitzufühlen von Mit- Leiden, das noch eine höhere Stufe ist, gar nicht zu reden was er am eigenen Leibe oder bei ihm nahestehenden Menschen erlebt oder erfährt. Natürlich wußten die Karlsruher von der Deportation der Stettiner, hatten zunächst wohl auch Schreck und ein flüchtiges Mitgefühl mit den Getroffenen gespürt, aber schnell, allzu schnell hatten eigene Sorgen und Alltagsgeschäfte das alles übertönt und schließlich zum Verklingen gebracht. Durch das Lesen der Briefe erwachte das unmittelbare Interesse, man bekam eine genaue Vorstellung von den Zuständen; die Menschen, die dies alles erlebten und erduldeten, wuchsen aus blassen Schemen zu Wesen von Fleisch und Blut, denen man sich nahe fühlte. Hinzu kommt, daß die Frau des Rabbiners Fink Badenserin ist. Sie stammt aus Offenburg , und viele Leser ihrer Briefe hatten sie als Kind und junges Mädchen gut gekannt. In allen drei Gemeinden denn ich war auch in Freiburg , wollen sie nun Päckchen allerdings nur einige Stunden schicken und sich unsere Erfahrungen zunutze machen. Sie werden mir über die ihrigen berichten.
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Ich bin anschließend noch einige Tage in Baden- Baden gewesen, wo auch Herr und Frau Rat die Ostertage verlebten. Der Winter mit seiner überreichlichen Arbeit und all den Aufregungen, die sie und das ganze Geschehen mit sich bringen, haben mir ziemlich zugesetzt, und außerdem begrüße ich es, ganz in Ruhe mit diesen beiden Menschen, die unsere jüdische Gemeinde führen und ihr wirklich in jeder Beziehung als Vorbild dienen können, eine Reihe schwebender Fragen zu besprechen, wozu man während der Arbeitstage nicht kommt.
So habe ich zum ersten Male den geradezu überwältigenden Frühlingszauber dieses gottbegnadeten Fleckchens Erde gesehen und förmlich in mich hineingetrunken. Ein Blühen in solcher Fülle und Verschwendung ist zauberhaft! Alles
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