der kochenden Volksseele hinzustellen, hatte sich als Fehl­spekulation erwiesen, und in Zukunft wurde ein anderer Weg eingeschlagen. Alle Verfügungen, die sich gegen die Juden richteten, wurden, außer den Betroffenen, nur den unmittelbar mit ihrer Durchführung betrauten Organen bekanntgegeben und als ,, geheim" bezeichnet, so daß weite Volkskreise kaum etwas von all den Beschränkungen und Zwangsmaßregeln erfuhren.

Mit Ausnahme des jüdischen Kinderheims und eines unansehnlichen Altersheims hatte die SA. zwei andere Heime und das Verwaltungsgebäude der Jüdischen Ge­meinde räumen lassen. In der Privatwohnung von Herrn Rat Neumeyer, also im gleichen Haus, in dem wir bei Hechts wohnten, fanden sich die Angestellten zusammen, um die wichtigsten Maßnahmen zu besprechen und die Arbeit unverzüglich aufzunehmen. Aber die vorhandenen Kräfte reichten nicht aus, man hielt Ausschau nach ehren­amtlichen Helfern. Ich stellte mich sofort zur Verfügung. Vor allem galt es, die alten Leute aufzuspüren, die die SA. aus den Heimen verjagt hatte, und von deren Verbleib man nichts wußte. Bei Verwandten und Bekannten von ihnen muẞte Nachfrage gehalten werden. Nach vielem mühse­ligem Herumwandern fand man sie nach und nach alle wieder auf, viele von ihnen krank durch die Angst und Aufregung. ,, Als die SA.- Leute bei uns im Heim in der Kaulbachstraße erschienen und erklärten, wir müßten so­fort alle aus dem Hause verschwinden", erzählte mir eine kleine alte Frau von dreiundachtzig Jahren, die ich bei einer Bekannten nach langem Suchen schließlich antraf, ,, da bin ich zu einem SA.- Mann gegangen und habe ihn gefragt, wo ich denn hingehen sollte, ich hätte keine Ver­wandten hier. Wissen Sie, was er mir geantwortet hat? , Der Starnberger See hat Platz genug für euch alle!' Ich bin dann noch eine ganze Weile in den Straßen herumge­laufen, bis mich Frau N. N. traf und mich zu sich nahm." Ihre Sachen hatte sie im Heim lassen müssen. Vieles davon

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