Zeitungen war inzwischen bekannt gemacht worden, daß Juden außer dem Besuch von Theatern, Konzerten, Vor­trägen, Kinos und sonstigen öffentlichen Veranstaltungen auch die Benutzung des Lesesaals und das Entleihen von Büchern aller staatlichen und städtischen Bibliotheken verboten sei.-Im Isartal fand ich alles in Ordnung, der Bürgermeister, den ich aufsuchte, riet, noch mit dem Heimkommen zu warten, er werde uns benachrichtigen, wenn es so weit sei. Ich hielt mich deshalb nicht lange zu Hause auf, sondern fuhr sofort wieder zurück in die Stadt, direkt zur Staatsbibliothek. Auch hier prangte das bekannte Schild ,, Juden ist der Zutritt verboten". Inner­lich widerstrebend ging ich hinein. Bei der Bücherrückgabe stutzte der Beamte, als ich unsere Leihkarte herüberreichte. ,, Darf ich Sie bitten, einen Augenblick zu warten, Herr Dr. X. möchte Sie gern sprechen." Sehr erstaunt folgte ich ihm kurz darauf in einen der Verwaltungsräume, wo mich Herr Dr. X. höflich begrüßte und mich aufforderte, Platz zu nehmen. Er begann dann: ,, Sie haben vermutlich in der Zeitung von dem Verbot der weiteren Bücher­verleihung an Juden gelesen." Ich bejahte. ,, Ihr Gatte ist in den ganzen letzten Jahren ein sehr eifriger Benutzer unserer Bibliothek gewesen. Ich nehme an, er braucht die Bücher für eine wissenschaftliche Arbeit, und das Verbot des Entleihens würde ihn schwer treffen. Darf ich einige Fragen an Sie stellen? Ist Ihr Gatte Volljude?" Ich be­jahte wieder. ,, Und Sie, gnädige Frau? Bitte halten Sie mich nicht für indiskret, Sie werden gleich merken, warum ich diese Fragen stelle." Ich erwiderte, daß ich zwar Mischling wäre, aber durch die Heirat diese Eigen­schaft aufgehoben sei. ,, Das trifft für uns nicht zu", sagte er ,,, für uns sind Sie Mischling, und denen ist das Ent­leihen von Büchern erlaubt. Allerdings muß irgendein Grund vorhanden sein, aus dem Sie wissenschaftliche Bücher entleihen wollen." ,, Der ist da", entgegnete ich ihm ,,, ich habe Geschichte studiert und den Doktorgrad

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