Unterzeichnet war sie einsichtsvollerweise nur: Lord

Ivor!

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Jeder Ausgang in diesen ersten Tagen nach dem 10. No­vember kostete Überwindung. Wenn die Wohnungstür hinter mir zufiel, hatte ich das Gefühl, mich erst straffen und wappnen zu müssen, einer grausamen Außenwelt ge­genüber. An jedem Geschäft der Stadt( mit ganz geringen Ausnahmen) prangten große Schilder: ,, Juden ist der Zu­tritt verboten!", von sämtlichen öffentlichen Gebäuden, Cafés und Lokalen gar nicht zu reden. Ohne weiteres konnte ich jede jüdische Frau, jedes jüdische Mädchen er­kennen( die Männer waren inzwischen fast ausnahmslos nach Dachau gebracht worden, und die wenigen, die Partei und Gestapo entgangen waren, hielten sich versteckt), nicht an den berühmten jüdischen Rassenmerkmalen, die nur ein Teil besitzt, sondern an dem geradezu steinernen Ge­sichtsausdruck, den jede, wie eine Maske, trug, an den starr blickenden Augen, die keinen Menschen ansahen, son­dern durch alle hindurchzusehen schienen. Wenn übrigens durch die Inschriften von der Partei bezweckt worden war, den Juden jeden Einkauf unmöglich zu machen, sie an den dringendsten Bedürfnissen des täglichen Lebens Not leiden zu lassen, so ist dieser Zweck nicht nur nicht erreicht, son­dern beinahe in sein Gegenteil verkehrt worden. Die Nach­barn und Bekannten, ja in vielen Fällen die Inhaber der Geschäfte, die jüdische Familien zu Kunden hatten, be­eilten sich, ihnen alles, was sie brauchten, oft in Fülle und Überfülle, in die Wohnungen zu bringen. Das sind nicht etwa Einzelfälle gewesen, sondern es war die Regel! Helene hatte in diesen Tagen oft im Scherz geäußert, es sei ge­radezu ein Glück, daß wir vier bei ihnen mit verpflegt würden, sonst hätte sie nicht gewußt, wohin mit all dem Segen, den ihr die Leute ins Haus trugen. Am zweiten oder dritten Tage, nachdem wir bei Hechts gelandet waren, fuhr ich ins Isartal, um die von der Staatsbibliothek geliehenen Bücher zu holen und zurückzubringen. In den

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