hat mir später erzählt, sie habe mir sofort angemerkt, daß es etwas Besonderes sei, weshalb ich gekommen. Daher habe sie mich auch hereingelassen, obwohl ihr Mann ihr mittags im Scherz erklärt habe: ,, Wenn du mir. heute nachmittag einen Mandaten bringst, schlage ich dich tot." Die Gute ließ es darauf ankommen, führte mich ins Wohnzimmer und bat mich, einen Augenblick zu warten. Bald darauf kam Herr Dr. Werner. Ich erklärte ihm, daß Du vor zwei Tagen auf eine Denunziation hin in Schutzhaft genommen und ins hiesige Gefängnis verbracht worden seiest. Die Sache sei ernst und schwierig. Ob ich ihn trotzdem bitten dürfte, die Führung Deiner Sache zu übernehmen. ,, Aber", so schloß ich, ,, ich muß gleich sagen, daß wir Juden und Sozialdemokraten sind!" ,, Na, hören Sie", erwiderte er in erstauntem Tone ,,, sind das denn keine Menschen?" ,, Nach den Erfahrungen der letzten Zeit mußte ich annehmen, daß man uns für gewöhnlich nicht mehr dafür hält", entgegnete ich ihm. ,, Nun, ich bin anderer Meinung und gern bereit, Ihre Sache zu vertreten." Ich atmete auf und gab ihm die notwendigen sachlichen Informationen. Auch er äußerte seine Verwunderung, daß wir nirgends etwas darüber gehört hatten, wie man ganz allgemein Frau Winterling einschätzte. ,, Es gab wohl keinen Anwalt in Reichenhall und Umgebung, den sie noch nicht in Anspruch genommen hat, und der nach dem ersten Mal nicht ihre Vertretung abgelehnt hätte", sagte er. ,, Sie genießt den denkbar schlechtesten Ruf, ja, sie ist gefürchtet. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, daß sie niemals Besuch empfängt, und daß sie selbst kaum ausgeht? Ihr Hausmeister ist ihr hörig, wenn das leider auch niemand beweisen kann, und das stellt für Sie die größte Gefahr dar, denn er wird alles beschwören, was sie will, und sie wird ihn natürlich als Hauptbelastungszeugen benennen. Es wird für mich alles darauf ankommen, Frau Winterlings bekanntes Intrigantentum und ihre ebenso bekannte Unglaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Daß auch ich, genau
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