stattlichen Haus hielt das Auto, das wartete, um uns später nach Herrsching zurückzubringen. Ich ließ mich bei der Vorsteherin melden und wurde gleich darauf zu ihr geführt. Vom Schreibtisch am Fenster erhob sich eine Gestalt, in der ich, vor Erstaunen fast zusammenschreckend, Frau Oberin R. erkannte, mit der ich so manches Gespräch, die Arbeit an den Gefangenen betreffend, im Berliner Frauengefängnis geführt, und an deren Verständnis ich mich immer gefreut hatte. Zunächst waren wir beide so bewegt, daß wir nicht sprechen und uns nur stumm die Hand drücken konnten. Wir haben lange ernsthaft miteinander geredet, sie wollte von unserem Leben wissen, und nach meinem kurzen Bericht erzählte sie mir auf mein Befragen, daß sie sich hierher hatte versetzen lassen, wo sie eine gewisse Selbständigkeit habe und sich wohler fühle als in der Großstadt, wo unter den jetzigen Machthabern die Arbeit viel schwieriger sei und in einer anderen Richtung ginge als früher. Schließlich fragte ich sie nach meiner Schutzbefohlenen, deretwegen ich gekommen war. Ich wußte gar nichts von ihr, die kleine jüdische Gemeinde ihrer Heimat hatte nur die Bitte der Begleitung ausgesprochen. Frau Oberin R. schlug das Aktenstück auf, das den Namen der heute zu Entlassenden trug. Es handelte sich um eine über siebzigjährige Frau, die hier ihre erste Gefängnisstrafe abgesessen hatte. Warum war sie bestraft worden? Auf einem Gang ins Nachbardorf, wo sie eine kranke Bekannte besuchen wollte, war ihr auf dem sonst menschenleeren Feldweg ein vierzehnjähriges BDM.- Mädel entgegengekommen, hatte ihr als Jüdin grobe Schimpfworte zugerufen und sie schließlich angespuckt. Die alte Frau ließ sich hinreißen und spuckte vor dem Mädchen auf den Boden, konnte aber nicht sehen, daß dieses unter dem Lodenmantel die BDM. - Uniform trug. Das Mädel zeigte die alte Frau an, und diese bekam eine mehrmonatige Gefängnisstrafe, die sie nun hier abgesessen hatte. ,, Wir haben über die alte Frau N. nie zu klagen gehabt",
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