Leben bleiben, völlig unklar fein wird, wie wir von dort wieder nach Berlin zurückkommen follen. Eine dunkle Stim me fagt mir, daß ich mein Haus und vielleicht auch meine Bücher und andere Güter nicht wieder fehen werde: inner lich habe ich mich längft von ihnen getrennt. Aber wie foll es, wenn erft alles zufammengebrochen fein wird, je mög lich fein, meine Familie wieder ausfindig zu machen? Wenn wir in Berlin blieben, könnte man vielleicht gerade in den letzten kritischen Stunden helfend bei ihnen fein; es ift bitter zu denken, daß fie dies dunkle Kapitel nun auf jeden Fall allein zuende bringen müffen. Nicht einmal die letzte genaue Benachrichtigung gelingt. Wir fchreiten nach beiden Seiten ins Dunkel, auf daß unfer Glaube bis zuletzt geübt werde. Mit dem Abtransport nach Nürnberg beginnt nun der letzte Abſchnitt diefer ganzen gefpenftigen Zeit; faft von Stunde zu Stunde wird es geifterhafter.

Auf dem Anhalter Banhof fteht ein Zug. Einer von diefen un vorftellbar überfüllten Zügen, in denen Menfchen aus Berlin fliehen, folange es noch Züge gibt. Für uns ift ein Abteil refer viert; wir find, um kein Auffehen zu erregen, ungefeffelt und in Zivil. Die Menfchen, die in dem überfüllten Gang ſtehen, und natürlich nicht wiffen, wer wir find, empören fich über unfere Sitzplätze, und wir müffen, groteske Verwechslung, noch etwas von der allgemeinen Unbeliebtheit der Geftapo auf uns nehmen, deren Firmenfchild an der Abteiltür prangt. Sehen wir wirklich wie Glieder diefer ehrenwerten Firma aus? Offenbar doch- denn als ich als erfter das Abteil be trete, erhebt fich ein höherer SS Offizier, der wegen der Überfüllung in diefem refervierten Abteil Zuflucht geſucht hat, und ftellt fich mir vor. Ich wende mich, auch in diefem Aus genblick noch für den ungewollten Humor der Situation em/ pfänglich, mit feigneuraler Handgebärde dem einen der

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