ten, und daß auch die Andersdenkenden von feinem juri ftifchen Können mit einer merkwürdigen Achtung fprechen. Auf den erften Blick ift feine formale Begabung unverkenn bar, er erfcheint als vorzüglicher Kenner der Akten, der fich zur Stützung feines Gedächtniffes nur eines kleinen Zettels bedient. Aber diefe Kenntnis ift nicht echt und offenbar we der durch das Intereffe an der Sache noch gar am Menfchen diktiert; am nächsten Tage wird er in der mündlichen Be gründung meines Urteils nur lauter Sachen fagen, die mit meinem Falle überhaupt nichts zu tun haben. Er verfchmäht auch die fehr billigen Effekte nicht; ein älterer Mitangeklag ter hat fich in jungen Jahren als Zimmermann einen Scha den am Bein zugezogen, der ihm noch jetzt zu fchaffen macht; als er in der Schilderung feines Lebenslaufes an diefe Stelle kommt, läßt ihn Freisler in dramatifierter Menschlichkeit fich fetzen; aber man fpürt deutlich, daß diefe Demonftration vorweg bedacht ift. Im Übrigen ift er von einer unleidlichen tyrannifchen Erregbarkeit, der kleinfte Widerspruch reizt ihn zu wahrhaft fultanifchen Zornesausbrüchen, und mit feinem ganzen richterlichen Dafein befindet er fich am entgegen gefetzten Ende von jener Klarheit und objektiven Überle genheit, die den Richter zieren. Seine Mitwelt nimmt ihn einfach hin, man fragt vor Beginn der Verhandlungen, wie er gefchlafen und gefrühſtückt haben mag, und wenn er zür nend ausbricht, fchweigt alles im Chor. Der Oberreichsan walt erfcheint gegenüber diefer rächenden Juftiz wie der Repräsentant mildernder Menfchlichkeit.
Theodor Haubach , der edle Sozialift, hat diefe jähzornige Unberechenbarkeit fchwer zu spüren bekommen. Im Ver trauen auf die Rechtsordnung hat er das dem Angeklagten zuftehende Schlußwort zu ernsthaften Ausführungen über die Hintergründe feiner Tat und Haltung benutzt und da
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