mit fo fehr den Zorn Freislers hervorgerufen, daß er fofort die Verhandlungen neu aufnahm und fie ftatt mit der fchon beantragten Freiheitsftrafe mit dem Todesurteil endete. Nur einmal iſt diefer Mentalität wirkfamer Widerftand begeg net. Der unvergleichliche Moltke hat, in klarer Erkenntnis des fchon befchloffenen Todesurteils, den moralifchen Mut zum Angriff auf Freisler und die gefamte Inftitution befeffen; er, der fchon verurteilte Angeklagte, hat feinerfeits die Hüter der Sicherheit des Dritten Reiches angegriffen, die, wenn der Anfchlag auf Hitlers Leben gelungen wäre, heute an feiner Seite stehen würden; und als er, des gefchichtlichen Sieges feiner Sache gewiß, mit den Worten des Lutherliedes fchloẞ: Das Reich muß uns doch bleiben"( was im Munde Helmut von Moltkes nicht nationaliſtiſch gemeint war), da lag für einen Augenblick die Überlegenheit einer ganz andern Wirk lichkeit fpürbar über diefem traurigen Raum. Nein, Freisler war weder wahrhaft groß noch wahrhaft be deutend; es müßte denn eine Naivität fein zu meinen, einem Juriften müffe die Gerechtigkeit ungefähr ebenfo wichtig fein wie einem Theologen die Frömmigkeit und der Glaube. Aber vielleicht verwandelt fich das Eine wie das Andere, fo bald es zur Profeffion" wird. Pharifäer und Heuchler gibt es offenfichtlich nicht nur auf dem Boden des Glaubens, fon dern auch im Nationalen und Juriftifchen.

Es ist doch wohl keine Übertreibung, wenn ich diefen ganzen Prozeß als eine groß angelegte Parodie auf die Gerechtig keit empfinde. Es iſt alles ftreng geheime Reichsfache; meine Frau, die mit gewohnter Tapferkeit und Findigkeit den Ver handlungstermin herausgebracht hat, muß fich von allen be teiligten Stellen( von allen!) bis zuletzt belügen laffen, damit nichts herauskomme, und von einer Teilnahme am Prozeß ift fchon garnicht die Rede. Dafür find Vertreter aller NS­

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