Gefegnete Agonie

Jene wunderfamen Tage, da uns in den kargen Freiſtunden

auf dem Gefängnishof zu Tegel ein Spätherbft ohnegleichen grüßte, waren auch die Tage der größten Todesnähe. Zwar kam mir der Tod noch einmal zwiefach drohend nahe; das war gegen das Ende meiner Haftzeit, als auf der einen Seite der Hunger fein zermalmendes Werk tat und auf der an dern Seite die Willkürjuftiz der letzten Tage des Dritten Rei ches, die noch fo viele redliche Männer umbrachte, ihren drohenden Schatten auch über unfern Weg warf. Aber die Tage in Tegel waren am fichtbarften in den dunklen Bann kreis der Todesnähe gerückt.

Dafür war fchon die einfache Tatfache unferes Abtranspor tes nach Tegel ein Beweis. Denn hierher waren wir mit bes fonders fcharfer, ja lächerlich fcharfer Bewachung gebracht worden. Ein eigenes Kontingent fchwerbewaffneter Schutz polizei verfah zufätzlichen Wachtdienst an den Toren und auf unferm Hof. Uberdies wurden wir nun dauernd gefeffelt, Tag und Nacht. Und je genauer wir uns untereinander ken nen lernten, foweit wir uns nicht schon vorher kannten, um fo deutlicher begriffen wir, daß dies etwa der noch verblie bene Kreis derer war, die das ftärkste Mißfallen des Reichs ficherheitshauptdienftes hervorgerufen hatten. Es iſt denn auch nach meiner Schätzung nicht ein Fünftel der damals dorthin Verbrachten lebend davongekommen.

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