diefem Jahre waren die Fenſter verdunkelt und die ganze Welt auch. Ich hatte davon gefprochen, daß diesmal wir Älte ren, die von ihren Familien getrennten Männer, die Alleinfte henden, die Alten, Weihnachten feiern lernen müßten, nicht mehr abgelenkt durch Kinderromantik und Gemütsbewes gungen- dafür war nun in diefem Jahre wirklich kein An> laẞ. Und dann hatte ich verfucht, mit Hilfe diefes Propheten wortes den eigentlichen Sinn der Weihnachtsbotschaft für uns, die Erwachſenen, für die Menfchen einer harten, dunk len Zeit deutlich zu machen.

Soweit war ich in meinen Gedanken gekommen und hatte gerade eben noch einmal die fchmerzliche Sehnsucht nach einer Gemeinde empfunden, der ich an diefem Abend und in diefer harten und dunklen Zeit das Weihnachtsevange lium verkündigen könnte. Da hörte ich draußen hallend meine Zellennummer rufen.Wenn fonft diefer Ruf durch die hohe Halle des Gefängnisflügels fchallte, pflegte er kaum etwas Gutes zu bedeuten- Verhöre, Mißhandlungen, Ab transport oder noch Schlimmeres. Obwohl ich immer auf alles gefaßt war, konnte ich mir eigentlich für diefen Abend nicht gerade etwas befonders Schreckliches vorftellen, folgte aber dem Poften, der mich aus meiner im dritten Stock ge legenen Zelle nach unten führte. Ich wurde zum Komman danten gebracht; nach feiner Gewohnheit fagte er kein Wort, fondern ging zu einer anderen Zelle voran. Bringen Sie Nr. 212 auch her!" fagte er dem Poften, ehe er die Zelle betrat. Als fich die fchwere Zellentür öffnete, erhob fich ein Mann, den ich wegen der auffallenden Ähnlichkeit fofort als den Grafen X erkannte. Sein Bruder, einer der erften Verurteil ten vom 20. Juli, hatte unmittelbar vor feiner Hinrichtung gebeten, ich möchte ihm das Abendmahl reichen- eine Bitte, die natürlich abgefchlagen wurde. Er war einer der treue

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