Abend im Jahre einige menfchliche Freundlichkeiten mög lich gemacht. Einem zum Tode Verurteilten, der schon gefel felt war, hatte er die Feffeln abnehmen und feine Geige aus händigen laffen, auf der er ein großer Künftler war und die er zauberhaft fpielte; nun drangen aus feiner Zelle die feft lichen Klänge rätfelhaft und fehnfüchtig in die hohe Halle. Während ich bei finkendem Abend in der Zelle auf und ab fchritt, in die Betrachtung eines weihnachtlichen Transparen tes verfunken, das eins meiner Kinder gefchnitten hatte und das nun, von einer Kerze erhellt und mit Tannengrün ge schmückt, die Zelle weihnachtlich geftaltete, dachte ich an den Chriftabend- Gottesdienft zurück, den ich ein Jahr zu vor in unferer Johanneskirche in Lichterfelde gehalten hatte. Es war schon ein fehr denkwürdiges Chriftfeft gewefen, ein Weihnachtsfeft faft ohne Kinder, da die meiſten Familien wegen des immer härter werdenden Luftkrieges ihre Kin der auch über das Feft evakuiert hatten. Nun waren faft nur folche Menschen, vor allem Männer, dagewefen, die von irgendeiner Kriegsverpflichtung in Berlin feftgehalten wur den, oder es waren alleinftehende oder ältere Menfchen, die den Gefahren des Luftkrieges gleichmütiger gegenüber ftanden und fich für niemanden zu fchonen brauchten. Je denfalls war es eine merkwürdige Gemeinde, die fich da in der fchon fehr befchädigten, kalten Kirche zur Chriftvefper verfammelt hatte. Ich erinnerte mich daran, daß ich damals über das Prophetenwort gefprochen hatte: Das Volk, das im Finftern wandelt, fieht ein großes Licht"( Jes. 9,1). Als Kin der hatten wir immer, fo hatte ich gefagt, den Heimweg aus der Chriftkirche hinausgezögert und überall in den Fen ftern die Kerzenbäume einen nach dem andern aufftrah len fehen, bis wir zuletzt zu Haus- höchfte Steigerung!- vor dem eigenen, fchimmernden Chriftbaum ſtanden. In

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