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Weihnacht
Der Chriftabend rückt heran. Der Heilige Abend iſt in einem Gefängnis deshalb fo fchrecklich, weil dann eine Woge von Sentimentalität über das dunkle Haus dahingeht. Jeder denkt an feine Lieben, mit denen er gern zufammen wäre, und von denen er nicht weiß, wie fie das Feft der Liebe feiern werden. Mit einer unwiderftehlichen Gewalt überfallen die Erinnerungen der Kindheit gerade die, die zum Tode verur teilt find und fich der rückfchauenden Erinnerungen ohne hin nicht erwehren können; es ist nicht zufällig, daß die Selbstmordverfuche an diefem Abend in den Gefängniffen befonders zahlreich find. Das Merkwürdigfte aber war die fentimentale Weichheit, die über unfere Wachtpoften kam; diefe volksdeutfchen SS - Männer meift junge Burfchen von ganz unnötig brutalen Umgangsformen, waren nicht wie derzuerkennen, fo griff ihnen diefer Abend ans Gemüt. Wir hatten um jene Zeit einen Komandanten, der menfch lich war. Er war, obwohl er aus der mittleren Laufbahn zum SS - Offizier aufgeftiegen war, ein gerader Mann geblieben, der wohl barfch, aber nicht brutal war, und der uns man cherlei Erleichterungen gewährte, bis er wegen zu großer Menfchlichkeit abgelöft wurde. Er hat uns wefentlich mehr Eindruck gemacht, als fein in mancher Hinficht nichtswür diger Nachfolger.
Diefer Kommandant nun hatte auch für diefen befonderen
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