deutung eines guten Trainings oder einer asketifchen Dis ziplinierung gehabt. Mit gymnaftifchen Übungen, zu denen ein morgendlicher ,, Dauerlauf" durch die Zelle gehörte, hat te ich verfucht, das Schickfal, wie ein bleicher, ungefund auf gedunfener Häftling auszufehen, abzuwehren; und zu dem körperlichen Training war das geiftige hinzugekommen. Ich hatte verfucht, durch eine ftrenge geiftige Zucht dem Ab finken in das konturenlofe chaotifche Dafein entgegenzu arbeiten. Regelmäßige Meditationen und längere Gebets zeiten hatten in meinem feft geordneten Tageslauf mit der Durchdenkung theologifcher und kirchlicher Fragen abge wechfelt, von deren Ergebnis ich heute noch zehren kann. Da ich nicht einen einzigen Zettel zum Schreiben hatte, habe ich das Erarbeitete nicht nur durch Wiederholung fondern auch durch Überfetzung ins Englifche oder Franzöfifche oder fogar Lateinifche mir einzuprägen verfucht, was wiederum meinem Gedächtnis zugute kam. Auch Bibelfprüche und Gefangbuchverfe konnte ich unter diefen Umftänden nur meinem Gedächtnis entnehmen- gepriefen feien alle Lehrer, die mich Gefangbuchlieder und Gedichte, griechische Lyri ker, lateinifche Oden oder hebräifche Pfalmen haben lernen laffen! Sie haben mich mit einem Schatz befchenkt, deffen unzerftörbarer Wert mir in jenen harten, einfamen Wochen unfchätzbar geworden ift. Um in diefen Wochen der ſtreng ften Abgefchloffenheit das Zeitgefühl nicht zu verlieren, hatte ich mir an einer für den Poften unerkennbaren Stelle, unmittelbar hinter der aufgehenden Zellentür, mit einem aus dem Spind gezogenen roftigen Nagel nach eigenem Syftem einen kleinen Kalender in die Wand geritzt; mit ei nem Blick konnte ich an den Siebenerkäften feftftellen, wie viel Tage, Wochen und Monate meine Haft währte. Man wird begreifen, daß ich ohne Befinnen die Einzelhaft
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