Verantwortung zu tragen gewohnt waren, und dazu die vollendete Würde wahrnahm, mit der fie ihr Gefchick trugen, dann konnte ich nie dem Eindruck wehren, hier fei eine geifterhafte Verwechslung gefchehen, die Rollen feien dämo nisch vertauscht, eigentlich müßten Gefangene und Wächter die Plätze wechfeln. Oder war das ganze auch nur die fymbolhafte Selbftenthüllung einer politifchen Ordnung, die unmittelbar vor dem Zerfall ſtand?

Später, als man die Gefichter diefer Männer beffer unter fcheiden lernte, vollzog fich ein völliger Wandel des Urteils bei mir. Das dauerte freilich lange, weil in den erften Wochen das abfolute Sprechverbot ftrengftens innegehalten wurde ( ich habe wochenlang wie ein Trappift gelebt), und weil über dies die Wachmannfchaften ständig wechfelten, um jede Ge fahr irgend einer vertraulichen Annäherung auszufchließen. So lüftete fich der Schleier der Anonymität, der auch unfere Wächter deckte, nur fehr langfam und fehr fpät. Aber trotz dem wurden allmählich die Gefichter der Gutgearteten er kennbar, die fich unter dem verhärteten Äußeren ein menfch liches Bild bewahrt hatten, und die man darauf anfprechen konnte. Aber auch die jüngeren Rohlinge lernte ich mit der Zeit ganz anders beurteilen. Gerade fie waren in einer be fonderen Weife Opfer des Dritten Reiches . Ganz jung, ohne alle eigene Kenntnis von der Wirklichkeit des Dritten Reis ches, waren fie beim Einmarfch der deutfchen Truppen in ihr Gebiet zur SS überredet oder gepreßt. Die meiſten hatten ihre Angehörigen feit langem nicht mehr gefehen und waren jetzt, nach dem Einmarfch der ruffifchen Truppen in ihre Heimat, zumeift in größter Sorge um fie. Den fchützenden Raum der Heimat hatten fie auch geiftig längst verloren, die SS- Moral in gefchlechtlichen Dingen hatte das ihre ge tan, und nun waren fie, lauter gefunde, kräftige, waffenfähige

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