Mit Mühe und Not wird durch einen menfchlichen Kalfaktor, alfo einen Mitgefangenen, noch ein Stück trockenen Brotes beforgt. Waffer ift im Krug. Das Inventar, Krug, Waschschale, Eẞnapf, Löffel, ift unbefchreiblich abgenutzt und schmutzig, die Bettwäsche flößt mir Grauen ein.
Wie wohl die meiſten in folcher Lage bin ich von einem naiven Optimismus erfüllt und halte das Ganze für eine Angelegenheit von Tagen; als aber mein Blick auf eine mäch tige Gruppe von Bäumen fällt, die jenfeits der hohen Mauer majeftätisch in den klaren Augufthimmel ragen, zieht mir plötzlich wieder- wie in der Morgenfrühe- jäh und uner klärlich die Vorftellung durch den Sinn, ich könnte diefe Bäume herbftlich gelb oder gar winterlich kahl werden fehen! Eine niederdrückende Idee, wie ein Schlag auf die Bruft.
Da beginnt langfam der Schrecken wie ein ekles Tier empor zukriechen. Mit unheimlicher Schärfe fehe ich mich felbft und meine Lage: die dumpfe, fchmutzige Zelle mit den eifernen Stäben, draußen der makellofe Augufthimmel, der fich in fil berblauer Pracht mächtig und weit ſpannt, aber er iſt ſchon faft nicht mehr wirklich, vor diefer unfichtbaren dunklen Wand, die da vor mir fteht, diefe dunkle, gefährliche, bedroh liche Gegenwart, gegen die ein Einzelner äußerlich wehrlos ift. Hier kann ich verfchwinden, ohne daß je wieder eine Spur von mir ans Licht dringt.
Und der Schrecken beginnt langfam weiterzuwachfen und wird immer größer und furchtbarer, je mehr mir die Einzel> heiten meiner Lage erkennbar werden. Langfam dämmert die Erkenntnis, daß jene dunklen Flecken am Boden nicht vom Schmutz herftammen, fondern Blutflecke find, die kein Scheuern abwäfcht, fondern die- wie der Blutftein Parricidasimmer wieder durchfcheinen. Der dunkle Fleck neben der Pritfche muß von einem Unglücklichen herrühren, der fich
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