Der Weg ins Dunkel
Am 19. Auguft 1944 hatte ich morgens um 4 Uhr die Burg Bodenftein im Eichsfelde verlaffen, auf der ich die Nacht zuges bracht hatte, und ftieg zu Tal, um den Frühzug nach Berlin zu erreichen. Es war noch tiefe Nacht, und die Sterne funkelten klar vom Himmel. Die Tannen ftanden hoch und schwarz am Wege, der fich fteil ins Tal fenkte. Und da der Abftieg in diefer Morgenfrifche ganz unbefchwerlich war, wanderte ich, leicht befchwingt wie nur je eine Geftalt aus Eichendorffs Welt, den Weg hinab.
Als ich die Talfohle erreicht hatte und nun, der Biegung der Landstraße folgend, den öftlichen Himmel vor mir fah, er fchrak ich plötzlich: am nächtlichen Himmel, über den fich fchon ein leifer blaffer Schein breitete, ftand in schimmern der Pracht der Orion. Ich hatte nicht bedacht, daß man ihn um diefe Zeit, da fich das Jahr fchon wieder unmerklich neigt, am frühen Morgenhimmel fehen kann; daher überfiel mich mitten im Sommer diefes winterliche Sternbild unerwartet, und eine jähe, unerklärliche. Beforgnis zog wie ein plötz licher Schmerz über mein Herz hin: wie würde es im Winter fein, wenn der Orion in feiner hohen Pracht über dem kämp fenden und leidenden Land ftehen würde? Und wie würde das neue Lebensjahr für mich fein? Denn es war der Tag vor meinem 45. Geburtstag, und ich hatte einige hübsche Ge danken geträumt, wie ich trotz der Kriegszeit den Tag ftill,
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