Kinder
Heute darf ich länger schlafen. Das Wirtschaftsgebäude, meine Arbeitsstelle, ist wegen eines Blindgängers für jedermann gesperrt.
Ich lag noch im Bett und hörte auf einmal Kinderstimmen. An diesem Morgen durfte ich seit vielen Jahren endlich wieder einmal richtig ausschlafen, und ich versuchte diesen so seltenen Genuß vollkommen auszuschöpfen. Es war unmöglich. Die Kinder machten zu viel Lärm. Ich stand auf und ging zum Fenster. Zu meiner Überraschung sah ich an die 200 Zigeunerkinder. Durch meine Arbeit außerhalb des Lagers wußte ich nichts von der Anwesenheit so vieler kleiner Kinder an diesem finsteren Ort. Gegen 7 Uhr war es. Sie machten Frühgymnastik unter Aufsicht eines älteren Häftlings. Die kleinen Körper reckten und dehnten sich. ,, Tief einatmen, tüchtig ausatmen!" Kleine gleichaltrige Gruppen hatten ihr eigenes Kommando. Ein Gewimmel, ein Hüpfen und Springen, ein buntes Durcheinander! Aus den dunkelbraunen, wie feines Leder aussehenden Gesichtern strahlten die Augen. Jeder wollte es besser bringen, jeder wollte ein großer, starker Mann werden.
Zuletzt hieß es: ,, Übungen einstellen! Fertigmachen zum Wettlauf!"
Im Nu flogen unter großem Geschrei die Schuhchen herunter und alles stand barfuß zum Start bereit.
Ich fragte mich beim Anblick dieses schönen Bildes: ,, Ist denn so etwas möglich? Im Konzentrationslager! Wer hätte früher so etwas gedacht. Ist gar der Faschismus auf dem Wege zur Humanität, zur Menschenliebe?"
135


