vermeiden können. Ich gehe dabei gleich auf den Kern dieses ganzen Problems ein.“
Deter richtete sich auf.
„Es kommt darauf an, unter welchem Gesichispunkt du die Sache ansiehst. Man kann sich bei dieser ein- schneidend wichtigen Frage nur auf die höchste Warte stellen, um von einem weiten Plateau aus die Dinge richtig zu überschauen und rein objektiv urteilen zu können. Kleinliche, egoistische Gedanken müssen aus- geschaltet werden. Nicht hier die paar übriggebliebe- nen Tausenden des jüdischen Volkes kommen dabei in Frage, sondern das Gesamtvolk, das augenblicklich über die ganze Erde verstreut ist.“
Peter war sehr bleich und trat dicht vor Hans hin.
„Du meinst also, wir sollen nicht an uns, sondern nur an das Schicksal der kommenden Generationen den- ken?!“
„So ähnlich! Die kommende Generation hat das Recht, von uns endlich die Wiedergutmachung aller unserer Fehler zu erwarten. Wir hatten unbekümmert die ersten Rollen in den Staatsstellen des Reiches übernommen, wir versuchten mit aller uns zu Gebote stehenden Ener- gie, Reichtümer zu sammeln, aber die Gefahren und drohenden Zeichen des anwachsenden Antisemitismus rechtzeitig wahrzunehmen und auf Herzl, den großen Mahner zu hören, hatte keiner für nötig gehalten.“
„Ja, so ist es! Unter der Kaiserin Augusta Viktoria hatte ihr Hofprediger Stöcker mit fanatischer Leiden- schaft gegen das Judentum gepredigt. Und als der alte Kaiser Wilhelm I gestorben und die kurze Regierungs- zeit Kaiser Friedrichs vorüber war, blieb die Flamme noch wach, und niemand hatte sich gerührt, sie zu lö- schen. Erst als Kaiser Wilhelm Il. eine Brücke des Ver- ständnisses über die einzelnen Parteien schlug und auch das Judentum förderte, hörte der fanatische An- sturm des Antisemitismus auf.
Nun wäre es Zeit gewesen, aufzubauen, aufzurichten und auszuroden, was als Unkraut schon lange an Un-
6 Philipp, Die Todgeweihten 81


