Marschtag war angebrochen. Mühselig kroch die graue endlose Schlange der Häftlinge über das ber- gige Land. Immer wieder fielen Schüsse. Endlich er- reichten wir Bad Tölz. Unsere Wachmannschaften waren jetzt so nervös, daß sie nicht einmal unter den Augen der Bürger vor dem kalten Mord zurück- schreckten. Unsere Kameraden fielen völlig erschöpft auf das Pflaster, auf den Bürgersteig, auf die Treppen- stufen vor den Häusern. Und die herzlosen Mörder, denen wir noch immer ausgeliefert waren, scheuten sich nicht, mitten in den Straßen der überaus belebten Stadt ihre Genickschüsse anzubringen oder den armen zu Tode erschöpften Kameraden durch einen Kolben- hieb den Schädel zu zerschmettern... Am Abend dieses Tages, an dem wir große Ausfälle durch Ver- hungerte hatten, wurden wir wieder in ein Waldtal getrieben, in dem der Schnee fußhoch lag. Aber es war wenigstens groß genug, unseren zusammenge- schmolzenen Reihen Raum für ein Nachtlager zu bie- ten. Wir rissen Zweige von den Tannen, fegten den Schnee beiseite und bereiteten uns eine Lagerstätte. Es war kalt und immer noch rieselte der Schnee. In Gruppen zu fünf oder sechs Mann rückten wir eng zusammen, um uns gegenseitig ein wenig zu wärmen. Nach Mitternacht war es sehr still geworden. Man hörte keine Schüsse und keine Flüche mehr. Aber es war so dunkel, daß wir nicht ausmachen konnten, welchen Grund diese plötzliche Stille haben mochte, die mehr an unseren Nerven fraß und zerrte, als die sonst übliche Schießerei. Trotz der Warnung meiner Kameraden erhob ich mich im Morgengrauen, um den 203


