von uns längst begriffen, daß nur äußerste Schnellig- keit und Gewandtheit ihn vor weiteren Mißhandlun- gen schützen konnte. Dennoch wiederholte sich das unbeschreibliche Schauspiel des Bahnsteigs noch ein- mal beim Besteigen der Autos, die uns ins Lager bringen sollten. Als wir dann endlich dicht ge- pfercht mit klopfenden Herzen und ohne Atem die Wagen besetzt hatten, standen vielen von uns die Tränen in den Augen, und mancher wird, wie auch ich, mit dem Gedanken gespielt haben, diesem Leben so schnell als möglich durch den Freitod ein Ende zu bereiten. Welche Gnade des Schicksals, daß es uns den Blick in die Zukunft verwehrt! Die Wagen rollten. Vielleicht nach zehn Minuten wurden die Türen wieder aufgerissen. „Raus“ Wir flogen, wir sprangen, wir standen. „Schutzhaftlager Sachsenhausen‘ glänzte die Schrift über dem Tor in der Morgensonrie. Schutz- haftlager— welch tröstliches Wort eigentlich. Aber vor was, vor wem sollten wir denn geschützt wer- den? Und Haft? Nun, die Haft war ja bisher die mildeste Form der Freiheitsentziehung. Wir marsichierten durch das Tor, schwenkten nach links ab, machten noch einmal linksum und standen nun, den Appellplatz im Rücken, mit dem Gesicht zur Betonmauer. Kaum wagte man zu atmen. Aber es geschah nichts. Die Uhr am Dienstgebäude zeigte auf acht. Ich schielte hinauf, ohne dabei den Kopf zu bewegen. Langsam, ganz langsam wanderte der Zei- 37


