— 13— Weit mehr, als über dieſen Punkt, iſt man einig, daß die Kunſt nicht geben könne, was die Natur verſagt hat. Schafft der Dichter Gefühle und Einbildungen, der Proſaiſt Erkenntniſſe und Beweggründe: ſo muß die Naturanlage dazu vorhanden ſein, widrigenfalls weder der Eine noch der Andere etwas hervorbringen würde, was man ſein Gedicht, ſeine Rede nennen könnte. Obgleich aber die Anlage zur Her⸗ vorbringung und Darſtellung des Wahren, Guten und Schönen dem Menſchen weſent⸗ lich zukommt; ſo iſt ſie doch nach Stufen oder Graden ſehr merklich verſchieden und kann wie jede Anlage vervollkommnet oder auch faſt ganz vertilgt werden. Daraus folgt denn, daß ſelbſt bei dieſer erſten Bedingung, ohne welche keine Proſa und Poeſie möglich iſt,(bei dieſer Grundbedingung aller Proſa und Ppoeſie) die Nachhülfe durch des Menſchen freie Thätigkeit von der Natur nicht verſchmähet werde; es fragt ſich, ob außer den praktiſchen Ausbildungsmitteln und außer dem von Craſſus(Cicero) in dem erſten Dialoge(De Oratore B. I.) geforderten Studium der Wiſſenſchaften, das den Geiſt veredelt und bereichert, auch die Redekünſte hierin etwas leiſten. Ich glaube die alte, immer wiederholte Frage, ohne Umſchweif verneinend beantworten zu müſſen. Denn allemal hemmt die erlernte Regel, nach welcher die Erfindung und Darſtellung des Ganzen, wie des Einzelnen ſich richten ſoll, die freie Thätigkeit des Geiſtes, ſtört beim jedesmaligen Durchlaufen des Regel⸗Regiſters und bei zu leb⸗ haftem Bewußtſein der einzelnen Regel die ruhige, reine Entwickelung des Gedankens 3 und der Empfindung, bedrängt die Sache von allen Seiten zu Gunſten der Form, verführt, oft mehr, als nöthig, oft weniger zu geben und hindert die reine Verſchmel⸗ zung der Form mit der Materie. Von der äußeren Darſtellung, der Declamation, 1b iſt dieſes faſt alles mitzuverſtehen. Die Regel, die den Kunſtler leitet, muß, ſtatt in Worten auswendig ge⸗ lernt zu ſein, in der Seele ſchon gleichſam als Taktgefühl liegen; der Geiſt und das Gemuth müſſen ſich gar nicht anders darſtellen können, als unter der, der