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gewollt, dass der Stein mit den eingemeisselten zehn Geboten Gottes unversehrt auf der Vordermauer stehen geblieben ist? Jedenfalls ruft uns die Ruine die Worte des Meisters zu: << Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte wer­den nicht vergehen.>>

Nach dem Gottesdienst sagte mir ein Arbeiter aus Köln : « Wenn in Deutschland ein Pfarrer eine solche Bemerkung über die Judenverfolgungen gewagt hätte, wäre er sofort nach Dachau gekommen. Doch Sie sind halt bei der Gestapo Hahn im Korb. Recht haben Sie. Nur feste druff!>>

Der Metzer Bischof Heriman schenkte im Jahre 1086 der Abtei Vergaville das Dorf Arlange mit einer Wallfahrtska­pelle. Dorf und Kapelle sind durch Kriegsereignisse des 14. Jahrhunderts in Schutt und Asche gesunken. Nur das Gottes­haus und ein Hof entstanden wiederum aus den Ruinen. Be­reits vor 800 Jahren zog dieses Waldheiligtum grosse Men­schenmassen an, und auch jetzt noch nimmt es alljährlich am Pfingstmontag viele Pilger auf. In den beiden Kriegsjah­ren 1941 und 1942 versammelten sich am Pfingstmontag über 500 französischsprechende Einheimische und auch mindestens 200 Bitscherländer in Arlange, wo eine feierliche Messe gesun­gen und Predigten in beiden Sprachen gehalten wurden. Der 65jährige apostolische Vikar Monseigneur Disse hatte sich fast zwei Jahre lang mir als Kaplan zur Verfügung gestellt und arbeitete in aller Demut mit heiligem Eifer wie ein junger Vikar. Im Krieg steht oft alles auf dem Kopf. Ein apostolischer Vikar in violetter Soutane war Hilfskaplan geworden und fuhr Sonntags, wie auch an den Werktagen, auf dem Fahrrad von Dorf zu Dorf. Prälat Disse ist ein geborener Musiker. In Ar­lange leitete er den Gesang. Welch ein Trost für die franzö sischsprechende Bevölkerung, hier in der Waldeinsamkeit, fern der Nazispitzel, französische Ansprachen, französische Lieder und französische Gebete zu hören! Da fühlten wir alle, mehr als sonst, Lorrains, Français, catholiques toujours zu sein. Heute noch erinnern mich einstige Wallfahrer von Ar­lange an die schön verlebten Stunden. Vor einiger Zeit sagte mir ein Bitscherländer:« Wissen Sie noch, Herr Pfarrer, wie Sie mal in Arlange uns so recht aufgemuntert hatten, als sie in den Wald heineinriefen: Nur den Mut nicht sinken lassen, liebe Bitscherländer! Der Führer sorgt für Euch. Hitler weiss ja alles, wie die Zeitungen es so oft behaupten. Vor kurzem noch betonte er ganz energisch, dass nach dem baldigen End­sieg das tausendjährige Nazifriedensreich beginnen wird. Also tausend Jahre lang gibt es keinen Krieg mehr. Da man Euch jetzt aus Eurer Heimat entfernt hat, um in Euern Dörfern einen riesengrossen Exerzierplatz zu schaffen, ist dieses Manö­vergelände nach dem Endsieg ganz und gar überflüssig. Was soll man denn damit anfangen, weil es tausend Jahre lang keinen Krieg mehr gibt? Da brauchen wir keine Soldaten mehr und auch keinen Exerzierplatz. Ihr kommt also alle wieder heim. Der Führer hat's gesagt, und dabei bleibt es.>>

Gelegentlich des Fronleichnamsfestes wurde bei einem Altar deutsch und bei dem andern französisch gepredigt. Manch einer wischte sich eine Träne ab, als die Worte zu ihren