Geschichte, von Karl dem Großen bis zu Hellmut von Moltke, waren vom göttlichen Talisman so geschützt, daß ,, die Macht, die nur feil ist um den Preis der Schuld" ( Reinhold Schneider : Das Inselreich), durch sie das deutsche Volk nicht in eine Katastrophe führte. Was immer die Zeitgenossen an der jeweiligen deutschen Führung auszusetzen hatten, so hemmungslos und ge­wissenlos war keine, daß sie den zerstörerischen In­stinkten des Nationalcharakters freien Lauf ließ und alles und letztes frivol aufs Spiel setzte. Das blieb je­ner Clique von Sadisten, Verbrechern und Wahnsin­nigen vorbehalten, die mit Unterstützung gewissenloser Helfer 1933 an die Macht gelangten.

Schon Heinrich Heine hat in seinem Buch über Deutsch­ land vor hundert Jahren gezeigt, daß in dem Augen­blick, da der Talismann, das christliche Kreuz, zer­bricht, und seine zähmende Wirkung verliert, aufs Neue die germanische Wildheit, die Gewalttätigkeit, die Maßlosigkeit, der Trotz, die Besessenheit und die Berserkerwut hervorbrechen würden. Das sind in der Tat die Dämonen, die in der deutschen Seele schlum­mern und ihre Träger zu der Selbstvernichtung in der Götterdämmerung treiben, sobald sie geweckt oder gar zur Grundlage eines neuen nordisch- germanischen Kults gemacht wurden. Es gibt keine Sage, in der diese Ver­anlagung sinnfälliger zum Ausdruck kommt, als im Nibelungenlied, dem Heldenepos der Deutschen . Was sich da an Bruder- und Verwandtenmord, an Verrat, Tücke, Hinterlist und Zwietracht begibt, ist beispiel­los. Wegen eines abstrakten heldischen Begriffs von Ehre, Treue und Recht, geschehen die grausigsten Ge­walttaten, die mit einem höheren Begriff von diesen Tugenden nichts mehr gemein haben. Da fließen Ströme von Blut, da geht alles Herrliche in Flammen auf und

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