ein. Rasch war das Rathaus besetzt; der Bürgermeister wurde von den Amerikanern aus der Wohnung geholt. Bald erschienen auch die ersten Anordnungen. Fast un­unterbrochen rollten Panzer auf Panzer, Kraftwagen auf Kraftwagen in östlicher Richtung. Doch schon nach wenigen Tagen wurde es stiller. Die als Besatzung zu­rückgebliebene Truppe wurde kleiner und unsichtbarer. Die alten Gewalten waren zusammengebrochen. Das schwere Unglück, das über Land und Volk gekommen war, verlangte nach einer neuen politischen Führung. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, hatte sich ohne mein Zutun eine Arbeiterpartei gebildet, in der sich im wesentlichen frühere Sozialdemokraten und Kommu­nisten zusammengefunden hatten. Aus dieser Tatsache sprach die Sehnsucht der Arbeiter nach einer großen einheitlichen deutschen Arbeiterbewegung. Als ich um Rat gebeten wurde, setzte ich meinen Freunden aus­einander, wie falsch es wäre, jetzt einfach da fortfahren zu wollen, wo man 1933 aufgehört hatte. Wie viel war über Deutschland hinweggegangen! Die Klassengrenzen waren verschoben. Das ganze Volk befand sich in einem geistigen Gärungs- und Umformungsprozeßẞ. Da mußte etwas Neues kommen, bei dem man sich die alten Wahrheiten zunutze machte und aus den Fehlern und Vorurteilen der Vergangenheit lernte. Auf Bitten meiner Freunde entwarf ich ein provisorisches Pro­gramm, das, obwohl gewissermaßen aus dem Hand­gelenk entstanden, einstimmige Annahme fand. Die Organisation sollte nur lokalen Charakter haben. Die ideologische Fundierung blieb offen. Sofort ging es an die Arbeit. Sie stieß jedoch auf Schwierigkeiten, die ich wohl vorausgesehen hatte, an die aber einige Stürmer und Dränger nicht glauben wollten. Die Bil­dung von politischen Parteien war zunächst grund­

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