Deutschlands enden werde. Freilich lief man in jener Zeit der raschen Triumphe in Frankreich Gefahr, für verrückt gehalten zu werden, wenn man selbst im ver­trautesten Kreise eine solche Ansicht äußerte. War man in der Wahl seiner Zuhörer dazu noch zu unvor­sichtig, so drohte unter Umständen auch der Galgen. Nur einmal bin ich in meiner Überzeugung vorüber­gehend wankend geworden. Es war in der Zeit des italienischen Zusammenbruchs im Sommer 1943, als ich das Ende auch für Deutschland näher glaubte. Das alles ging mir bei Lützen durch die Erinnerung. Waren nicht die Religions- und Revolutionskriege zu allen Zeiten die schlimmsten aller Kriege gewesen? Trug nicht auch dieser zweite Weltkrieg in mancher Beziehung die Züge eines Religionskrieges? Der globa­len kriegerischen Auseinandersetzung von 1939 bis 1945 lagen gewiß in erster Linie, wie in fast allen Kriegen der in den Konflikt hineingezogenen Mächte­gruppen, die Schaffung, Erweiterung und Verteidigung imperialistischer Interessensphären zugrunde. Die ideo­logische Grundlage, auf welcher der Kampf ausgefoch­ten wurde, trug, im Gegensatz zu den meisten Kriegen der neueren Geschichte wieder einmal stark weltan­schauliche Züge, die zuweilen geradezu in religiösen Fanatismus ausarteten. Der Faschismus, dessen agres­sivste Form der deutsche Nationalsozialismus war, hatte die ganze Welt herausgefordert. Er wollte sie nicht nur neu verteilen, sondern ihr zugleich auch eine andere Form der Herrschaft aufzwingen, durch die alle Ideale bedroht wurden, die seit der Französischen Revolution und der nordamerikanischen Unabhängigkeitserklärung unveräußerlicher Besitz oder Traum der Völker moder­ner Staaten geworden waren. Zu diesen Idealen ge­hört alles, was die Würde des Menschen ausmacht: die

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