Am 24. Juli 1940 hatte ich Gelegenheit, mich mit Professor Richter in Ludwigsburg in Württemberg über den Zeitpunkt zu unterhalten, zu dem möglicherweise dieser Krieg sein Ende finden könnte. Das Ergebnis seines Nachdenkens brachte er auf die mitgeteilte Formel. Die Sicherheit, mit der Richter, dessen Spezialfach die Geschichtswissenschaften sind, seine Ansicht aussprach, regte mich zu eigenen Überlegungen an. Mir waren noch sehr gut die Faktoren vertraut, die im ersten Weltkrieg dessen Dauer bestimmten und ich kannte auch die Gründe, die zur damaligen Niederlage Deutschlands führten. Nachdem in dem gegenwärtigen Kriege offenkundig geworden war, in welchem Umfange er unter geschickter Benutzung der Erfahrungen des ersten Weltkrieges vorbereitet worden war, und zwar nicht nur militärisch, sondern auf allen Lebensgebieten, vor allem in der Ernährung und in der Frage des Arbeitseinsatzes, war es wahrscheinlich, daß Deutsch land die Abwehr diesmal länger würde durchführen können, als im verflossenen Kriege.
1914 bis 1918 wirkten die Parteien als kontrollierender Faktor gegenüber der Staatsführung. Auch die Presse, obwohl durch die Zensur stark geknebelt, war immerhin noch ein beachtliches, wenigstens auf eine gewisse Selbständigkeit bedachtes Instrument der öffentlichen Meinung, das die kaiserliche Regierung nicht mit einer Handbewegung einfach abtun konnte. Diese für die Regierung zwar lästigen, für die Allgemeinheit aber umso nützlicheren Hemmschuhe im gesellschaftlichen und staatlichen Aufbau, hatte Hitler total beseitigt. Er bedrohte außerdem von Anfang an die leiseste Kritik an der Kriegspolitik seines Systems mit der Todesstrafe. Alles das mußte auf das Ende des Krieges verzögernd wirken, hatte allerdings die Aussicht
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