kende Tagesgestirn über Fluren, Wälder, Häuser, Kirch­türme warf. ,, Untergehend sogar ist's immer noch die­selbige Sonne." An dieses Wort des alten Goethe wurde ich erinnert. Wie oft war ich in den Jahren 1936 bis 1939 mit meinem Wagen diese Bahn gefahren, wobei ich bei allem Genuß, den mir die Fahrten gewährten, nie recht froh wurde, weil ich den Beginn des Dramas und sein Ende, das wir heute deutlich fühlten, längst vorausahnte. Es war eine milde, sternenklare Nacht. Wiederholt wurde der Himmel von sogenannten Christ­bäumen erleuchtet, die aus großer Höhe sehr langsam zu Boden gingen und dort verlöschten. Wir versuch­ten zu schlafen, was aber nur unvollkommen gelang. Benzingeruch und Schmutz hatten allmählich Kleider, Haut und Haare durchsetzt. Für meinen Teil wurde ich für alle Unbequemlichkeiten und Strapazen reichlich entschädigt durch den prachtvollen Sonnenaufgang, der sich zwischen Lützen und Weißenfels - Naumburg vor meinen Augen vollzog. Die Farbenlehre Goethes wurde in natura vorgeführt. Man hat an dieser Stelle noch einen weiten Blick in die Ebene. Vergebens forschten meine Augen nach dem Denkmal Gustav Adolfs , das sich über dem Schlachtfeld von Lützen erhebt. Ich wurde erinnert an den Dreißigjährigen Krieg, an die größte Tragödie Deutschlands an der Pforte einer neuen Zeit, die das Mittelalter abschloß, und an den Westfälischen Frieden, im Jahre 1648. Schon 1940, nach dem Rückzug der englischen Truppen auf die Insel, hatte ich im scheinbaren Widerspruch zu den damaligen Machtverhältnissen in Freundeskreisen er­klärt: der Krieg dauert bis 1945 und endet mit einem zweiten Westfälischen Frieden! Wahrheitsgemäß muß ich bekennen, daß ich nicht den Ruhm beanspruchen darf, diese Erkenntnis von selbst gewonnen zu haben.

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