stände der Reichshauptstadt sanken von Tag zu Tag tiefer in die Primitivität, aber von einer Auslöschung aller Lebensgrundlagen waren sie noch weit entfernt. Die Rückkehr zu normalen Zuständen blieb offen, wenn die Stadt vor dem Wahnsinn einer unverantwortlichen und verbrecherischen Führung gerettet wurde, die Ber lin als Festung verteidigen und Millionen von wehrunfähigen Männern, Greisen, Frauen und Kindern einer wahren Hölle ausliefern wollte. Seit vielen Monaten war es mir klar, daß nur zwei Möglichkeiten verblieben, die Stadt vor dem Untergang zu bewahren: Entweder durch einen Aufstand der Massen gegen den politischen und militärischen Wahnsinn des Regimes oder durch eine blitzschnelle Eroberung durch den Feind.
Das Volk seufzte, knurrte und murrte in Bunkern und Luftschutzkellern, auf Straßen und Plätzen. Es gab Fälle, in denen es seiner Empörung offen Ausdruck gab. In der Woche nach Ostern kam es an einigen Stellen der Stadt zu den ersten Lebensmittelkrawallen. Brotwagen wurden umgestürzt und ihres Inhalts beraubt. Zu einer echten Erhebung reichte es freilich nicht, auch der Hunger und alle anderen schaurigen Begleiter der apokalyptischen Reiter vermochten nicht das Volk auf dem Wege weiterzutreiben, der in die reinigende Erhebung hätte münden können. Der einzelne war machtlos. An eine organisatorische Zusammenfassung unter fester Führung war nicht zu denken. Die herrschende Clique hatte die polizeiliche und militärische Gewalt noch so weit in den Händen, daß sie jeden Ansatz dieser Art im Keime ersticken konnte. Die ihr ergebenen SS- Schurken waren in einem solchen Falle jederzeit bereit, nicht nur die Führer zu liquidieren, sondern auch jeden anderen auszutilgen, der nur
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