Kreise seiner Familie feiern könne. Er hatte Angst vor dem Winter und fürchtete, ihn nicht zu überleben. Hof­fentlich ist diese Befürchtung grundlos gewesen. Aus Dankbarkeit für meine Aufmerksamkeit hat mir der Ministerialrat aus Prag zwei Paar Strümpfe gestopft, gewissenhaft und kunstgerecht, wie er es in Sachsen­hausen hatte lernen müssen.

Tagsüber gab es im Block manche stille Stunde. Die Belegschaft war bei der Arbeit, und Otto schlief hin und wieder. Da geschah es manchmal, daß der Stuben­älteste Franz Müller aus dem Nachbarflügel für eine Viertelstunde herüberkam und einige ergreifende Wei­sen auf seinem Schifferklavier spielte. Diese Musik konnte ich ertragen, der Nachklang war ein anderer wie im Block 26. Manchmal freilich mußte ich mich in den Schlafsaal flüchten, um vor den Kameraden die seelische Erschütterung zu bewahren, die die Töne in mir bewirkten. Aber ich war für die Abwechslung dankbar und gewann den Spieler lieb. Franz Müller, eine große Erscheinung, war seit dem 5. Juli 1941 im Lager. Beim Appell maß er den Block mit der Gran­dezza eines österreichischen Feldmarschalls, wobei ihn die großen scharfen Augen wirksam unterstützten. Er war ins Lager gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Vor dem Kriege war er selbständiger Handelsvertre­ter und als solcher suchte er sich auch im Kriege zu behaupten, indem er sich dem zwangsweisen Arbeits­einsatz entzog. Zehntausenden war das gelungen, ihm nicht. Kleine Verstöße gegen die Gewerbeordnung ka­men hinzu, doch handelte es sich um Lappalien, die normalerweise nie dazu führen durften, einen Men­schen jahrelang der Freiheit zu berauben, und ihm das Stigma des Asozialen aufzudrücken. Politisch konnte man ihm nichts vorwerfen. Freilich war er einmal in

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