ein Meister den Lehrling ohrfeigt. Otto reagierte seine dämonischen Regungen durch ununterbrochenes Rä­sonieren ab. Sein Block galt darum als human und es schien, als ob Otto darauf stolz sei. In dieser Einstel­lung suchte ich ihn nach Möglichkeit zu unterstützen. Der Zuchthäusler war nicht in jeder Hinsicht eine schwarze Seele, aber er war jähzornig, rechthaberisch und geltungsbedürftig, ehrgeizig und unberechenbar wie ein Blindgänger, von dem man nie weiß, nach wel­cher Seite er losgeht. Es war gefährlich, seiner äußer­lichen Biederkeit allzusehr zu vertrauen und sich in Sorglosigkeit zu wiegen. Die Bestie im Menschen konnte dann nur zu leicht in ihm erwachen und Unheil an­richten.

Durch Clemens Freundschaft und Ottos Duldung war ich wider Erwarten schnell in den ,, Führerkreis" des Blocks aufgestiegen. Ich konnte meine Tagesstunden einteilen, wie es mir beliebte. Zwar mußte ich wie alle anderen morgens um 3 Uhr aufstehen, aber ich konnte, wenn ich das Bedürfnis hatte, nach dem Appell noch einmal eine Stunde liegen und auch nach dem Mittag­essen etwas ruhen. Man brachte mir Vertrauen entge­gen, wodurch mir manche Beobachtung möglich war, die anderen versagt blieb. Ottos Stübchen war tagsüber und nach Feierabend, wenn die Mannschaft zu Bett ge­gangen war, der Treffpunkt einer gewissen Kategorie alter Häftlinge, an denen man interessante psychologi­sche Studien machen konnte. Als Block-, Stubenälteste oder Vorarbeiter genossen sie eine gewisse Freizügig­keit im Lager. Da war zunächst die Schicht, die Otto mit Recht als seinesgleichen empfinden konnte: Alte Schwerverbrecher, echte Asoziale und Elemente, die in einem ewigen Widerstreit mit aller Ordnung leben. Wenn sie ihre Erfahrungen und Ansichten untereinan­

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