tur auf Erden, daß ein Neues nur werden kann durch Opfer. So suchte ich mich innerlich mit meinem Schick­sal auseinanderzusetzen und abzufinden. Es war schwer, sich in dieser Umgebung zu behaupten und Mensch zu bleiben. Manchen Häftling packte von Zeit zu Zeit der Lagerkoller und er wußte dann nicht mehr, was er tat. So hatten wir in dem Flügel unseres Blocks 68 einen Blockschreiber mit dem Rufnamen Eduard, der eine ungewöhnliche Personal- und Sachkenntnis auf dem Gebiete der internationalen Arbeiterbewegung be­saß. Er stammte aus Luxemburg und war seit dem Einmarsch der deutschen Truppen in seinem Lande im Lager. Er behauptete Journalist und Mitarbeiter sozialistischer Zeitungen in Paris gewesen zu sein. Je­denfalls war er in beruhigter Stimmung und bei nor­malem Umgang ein guter Kamerad voll sozialistischer Gedanken und vernünftiger politischer Ideen. Wenn er aber einen Häftling bei einem Verstoß gegen die Block­ordnung ertappte, dann bekam er einen förmlichen Wutanfall, schlug besinnungslos mit den Fäusten auf den Magen, in das Gesicht oder in den Nacken des Häftlings, daß dieser heulend und schreiend und oft genug blutend davonlief. Der Blockälteste besaß eine ähnliche Veranlagung. Seine Belehrungen waren nie ohne politisch kritische Seitenhiebe auf die Lagerlei­tung und das Nazisystem, was mich wunderte, aber auch miẞtrauisch machte. Er behandelte die Häftlinge im allgemeinen nicht schlecht, brachte es aber auch fertig, an ehrenhafte Männer wegen eines Mißver­ständnisses Ohrfeigen auszuteilen, bis ihnen das Blut aus Mund und Nase lief, oder den ganzen Block eine Stunde barfuß auf dem kalten Fußboden stehen zu lassen, weil irgendein kleines Vergehen erfolgt war. Mir war entsetzlich, einen Menschen einen anderen

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