Mauer war bei Nacht durch Scheinwerferlampen hell erleuchtet. Zwischen ihr und der Platzgrenze zog sich ein Rasenstreifen von reichlich einem Meter Breite. Das war die sogenannte neutrale Zone. Ihr Betreten war mit sofortigem Erschießen bedroht. Die Türme der Lagermauer waren so errichtet, daß von ihnen aus die neutrale Zone und die Barackenstraße jeden Augen­blick mit Maschinengewehrfeuer belegt werden konnten. Das Schicksal, das den Häftling beim Betreten der neu­tralen Zone bedrohte, war durch Totenkopfplakate an­gedeutet, die in einem Abstand von fünf zu fünf Me­tern aufgestellt waren.

Eine Stunde lang mußten wir nach unserem Eintritt auf die unheimlichen Sicherungsvorrichtungen des La­gers starren, ehe man über unser weiteres Schicksal entschied. In dieser Zeit beobachteten wir zum ersten Male, wie eine Gruppe von etwa einhundert bis ein­hundertzwanzig Häftlingen singend um den großen Platz marschierte. Die Gefangenen hatten schweres Ge­päck auf dem Rücken und ihr Marsch nahm kein Ende. Es handelte sich um die sogenannte Strafabteilung, der solche Häftlinge zugewiesen wurden, die sich durch wiederholte ,, Insubordinationen" unbeliebt gemacht hatten. Es gehörte unter Umständen nur eine Kleinig­keit und die Laune eines Vorgesetzten dazu, der Mar­ter dieser Einrichtung ausgesetzt zu werden. Die Häft­linge mußten jeden Tag vierzig Kilometer in einem solchen Rundmarsch auf dem Appellplatz singend zu­rücklegen. Dabei wurden sie mit Gepäck im Gewicht von zwanzig Kilogramm belastet. Den Marsch hatten sie in neuen Militärstiefeln zurückzulegen, die in der Schuhfabrik des Lagers hergestellt wurden. Um ihn be­sonders qualvoll zu gestalten, wurde der Weg an ein­zelnen Stellen aufgeweicht, an anderen mit spitzigen

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