das Reich in einer notariellen Urkunde zu vollziehen. Bei Errichtung dieser Urkunde, deren Text wie eine vorgedruckte Hypothekenurkunde festgelegt war, stand ihnen der Vertrauensnotar der jüdischen Gemeinde zur Verfügung. Mein Sohn hat mehrfach das zweifel­hafte Vergnügen gehabt, als Vertreter des Notars sol­che Abtretungen beurkunden zu müssen. Durch ihn er­hielt ich auch Kenntnis von der unerhörten seelischen Brutalität, die die Gestapo in diesem Hause verübt hat. Es gab Juden, die sich mit Recht auf große Verdienste um das Reich berufen konnten. Auch sie wurden nicht geschont. In einem Falle hatte die Witwe eines ein­flußreichen Juden eine Empfehlung des Herzogs von Mecklenburg in der Hand, aus der die großen Ver­dienste des Verstorbenen um die deutschen Kolonien hervorgingen. Das Dokument bewirkte lediglich einen Aufschub. Den bedauernswerten Opfern blieb nur die Wahl, entweder zu unterzeichnen in der Hoffnung, dann wenigstens ,, nur" nach Theresienstadt zu kom­men, oder im Falle der Weigerung nach Auschwitz überführt zu werden. Was das, nach allem was nach dem Sturz der Nazis über diese beiden Plätze des Irr­sinns und Verbrechens bekannt geworden ist, für eine Wahl war, liegt jetzt klar zutage.

Wir neun Figuren waren fast die einzige männliche Belegung des Stockwerks. In den übrigen Zimmern wimmelte es von Frauen aller Lebensalter und Gesell­schaftsklassen. Gestalten von hübscher und häßlicher, von ehrlicher und von zweifelhafter Erscheinung tän­zelten über den Korridor. Wir sahen sie auf und ab gehen, voller Neugier auf den männlichen Zuwachs, kokettierend oder voll ernster Sorge, oft nur mit einem Nachthemd von delikater Farbe bekleidet. Man hielt sie hier Tage, Wochen und Monate gefangen, weil sie

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