begleiten und jede Stätte zu einem Tempel weihen kann." Bald sollte ich Gelegenheit haben, mich noch stärker an diese Mahnung zu klammern. Wir wurden plötzlich getrennt. Die Sozialdemokraten und Kommunisten wurden gerufen, die Zentrumsleute blieben zurück. Wir sechs Mann würden entlassen, hieß es. Ich mißtraute dieser Parole, die von dem diensttuenden Polizeibeamten ausging, und tatsächlich hatte man uns nur zum Objekt eines frivolen Scherzes gemacht. Wir wurden entlassen, aber nur aus der Obhut der regulären Berliner Polizei. Von ihr gerieten wir unmittelbar in die Hände der SS. Durch Zuwachs aus anderen Zellen, erhöhte sich unsere Zahl wieder auf ,, neun Figuren", wie die kleinen Knechte der SS uns nun regelmäßig und verächtlich titulierten. Wir mußten zu Fuß über den Alexanderplatz nach der kleinen Hamburger Straße wandern, wo wir in einem Gebäude verschwanden, in dem die Gestapo ihre Häftlinge für kürzeren oder längeren Aufenthalt verstaute. Dies ist der einzig richtige Ausdruck für die hier beliebte Art der Unterbringung. Die neun Figuren wurden in ein Zimmer von etwa zwanzig Quadratmeter Größe geschoben. Weder Tisch noch Stuhl war vorhanden, nackt und leer der abgewohnte Raum. Es wurde keinerlei Eẞgeschirr zur Verfügung gestellt. Das Abendessen bestand darin, daß man uns eine Waschschüssel voll Ersatzkaffee hereinbrachte; sie wurde wie der Kelch beim Abendmahl von Mund zu Mund gereicht. Jeder nahm den ihm zustehenden Schluck und aẞ dazu den Kanten trockenen Brotes, den er erhalten hatte.
Der einzige Vorteil, den die neue Unterkunft gegenüber der Zelle am Alexanderplatz bot, bestand darin, daß die Zimmertüre nicht verriegelt wurde; abgeschlossen war nur der langgestreckte Korridor am Ausgang zum
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