waren das Offizierkorps, die im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband organisierte Angestellten­schaft und gewisse Kreise des Handels und des Bauern­tums. Paul de Lagarde lieferte für den Antisemitismus eine Grundlage, die noch das geistige Gesicht wahrte; aber in den Händen der Fritsch, Hitler, Goebbels , Ro­senberg und Streicher sank der Antisemitismus immer tiefer in den Schlamm einer stinkenden Kloake.

Oft legte ich mir die Frage vor, warum ich selbst kein Antisemit geworden war, obwohl die Judenfeindschaft in dem Berufe, den ich in der Jugend erwählt hatte, infolge der Agitation des Deutschnationalen Handlungs­gehilfenverbandes erheblich an Boden gewann. Ich fand, daß dem Elternhaus und der Schule das Ver­dienst gebühre, mich immun gegen den gefährlichen Krankheitsstoff gemacht zu haben. Nie haben Vater oder Mutter gehässig über die Juden gesprochen, und zur Ehre der Schule, in der ich heranwuchs, muß ich sagen, daß Toleranz ein selbstverständlicher Grund­satz für Leitung und Lehrerschaft war. Niemals frei­lich hörte ich auch eine Verteidigung des Judentums. Vielleicht war das psychologisch gerade wichtig, denn so blieb die Seele des Kindes rein, die Natürlichkeit des menschlichen Empfindens ungetrübt. Jetzt sind die Seelen aller Kinder, die zwischen 1933 und 1945 gebo­ren wurden, oder in dieser Zeit ihre erste geistige For­mung empfingen, vergiftet und in Gefahr. Wir sehen also, wo der Hebel zur Heilung anzusetzen ist. Es war manchmal schwer, das Judentum zu verteidigen, aber die besten Juden wußte ich dann in der Kritik von Fehlgriffen, Irrwegen oder Taktlosigkeiten immer auf meiner Seite. Philosemit war ich nicht. Aber den Men­schen vor alles andere zu stellen, entsprach einem Be­dürfnis meiner Natur.

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