vertreiben. Zu arbeiten brauchten wir nicht. Im Gegensatz zum Heuberg, wo es verboten war, durften wir Lebensmittelpakete empfangen, deren Inhalt gegenseitig ausgetauscht wurde. Künstliche Beleuchtung gab es nicht. Das Bedürfnis nach Ruhe, das die Monate anstrengender körperlicher Tätigkeit im Lager Heuberg erweckt hatte, war durch das erzwungene 12-14- stündige Liegen auf dem Strohsack bald befriedigt. Von 23 Uhr an hörte ich Stunde um Stunde die Schläge der nahen Münsteruhr. Der Aufseher, ein Beamter alten Stils, und ein außerordentlich gütiger Mann, hätte auch unser Dasein im Dunkeln gerne etwas abgekürzt und erleichtert. Da er aber das Gefängnis nach 13- bis 14stündiger Dienstzeit verließ, würde das bedeutet haben, daß er uns der Gewalt einer kleinen Anzahl junger SS - Leute überlassen hätte, die ihm neuerdings zur Hilfeleistung zugeteilt worden waren, und das wollte er nicht. Daher verschloß er die Zelle vor seinem Weggang und öffnete sie am nächsten Morgen persönlich. Den jungen SS - Anwärtern gestattete er während der Nacht keine andere Tätigkeit, als mit ihren Taschenlampen durch die Spione zu leuchten und sich von unserer lebendigen Gegenwart zu überzeugen. Wie wohl es tat, einmal einem Aufseher zu begegnen, der ein Mensch war und ein richtiges Herz in der Brust hatte, kann nur nachfühlen, wer es selbst erlebt hat. Am 24. Oktober 1933, nach dem Mittagessen, rief mich der Aufseher, um mir ein Schreiben des Ministeriums des Inneren vorzulesen, in dem es hieß, der Schutzhäftling Roßmann sei bis spätestens 15 Uhr zu entlassen. Gleichzeitig sei ihm zu eröffnen, daß er sich in Zukunft jeder gegen die nationale Regierung gerichteten Tätigkeit zu enthalten habe, widrigenfalls er mit seiner Verbringung in ein Konzentrationslager auf un
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