unbequemen politischen Gegner oder einen Häftling, der zuviel wußte, aus dem Wege zu räumen, absicht­lich herbeigeführt. Zahllose Fälle dieser Art hat mir später mein Freund Dr. Leber aus seinem Lagerleben erzählt. Da warf z. B. der Wachthabende seine Mütze über die dem Häftling unbekannte Demarkationslinie und befahl ihm, sie zu holen. Im nächsten Augenblick krachte der Schuß, denn das Überschreiten der Linie galt als Fluchtversuch. Kam der Häftling aber dem Befehl nicht nach, so erwarteten ihn die schwersten Miẞhandlungen. Dr. Leber war selbst Gegenstand eines solchen Experiments. Tote reden nicht, war die Mei­nung dieser dummen Teufel aus der SS. Von der Lehre der Geschichte, daß Tote zu den heftigsten Anklägern werden können, wußten sie nichts. Fluchtversuche wa­ren damals leichter als in der späteren Zeit, in der das Lagerleben schon in straffere Formen gebracht worden war. Die Gefangenen trugen im allgemeinen noch ihre eigene Kleidung. Es gab weder Häftlingskleidung noch -nummern. Bei der Arbeit außerhalb des Lagers muẞte allerdings eine Hose getragen werden, die mit einem Ring aus roter Farbe gekennzeichnet war. Die Zivil­hose konnte darunter jedoch leicht versteckt werden. Wer aber erwischt wurde, verfiel als Fluchtverdächti­ger schwerer Lagerstrafe.

Anfang September kam ich in den gegenüberliegenden Bau, avancierte also. Damit war keineswegs eine per­sönliche Erleichterung verbunden. Im Gegenteil, die körperliche Arbeit wurde regelmäßiger, anstrengender und härter. In langen Kolonnen zogen die Häftlinge zur anderthalb Stunden entfernten Arbeitsstelle. Aus einem Steinbruch wurden die Steine gewonnen, die zum Bau einer neuen Zufahrtsstraße zum Lager Verwen­dung fanden. Stundenlang gingen die schweren Stein­

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